Europawahl in Ungarn
In Ungarn wird am 26. Mai das Europaparlament gewählt – ein kleiner
Überblick über die Haltung von Ministerpräsident Viktor Orbán zur EU und
die ungarische Parteienlandschaft
Die Europawahl 2019 wird oft als Schicksalswahl bezeichnet: Wie wird die Union in Zukunft aussehen? Werden wir noch europäischer oder wird der Einfluss der EU gestutzt? Wie stark werden die Rechtspopulisten?
In Deutschland geht diesbezüglich die Befürchtung um, dass die Populisten der AfD bei der Europawahl punkten werden. In Ungarn wird voraussichtlich auch eine rechtspopulistische Partei triumphieren, allerdings ist diese eine Volkspartei und schon seit Jahren an der Macht – die Fidesz-Partei, die den gegenwärtigen Ministerpräsidenten Viktor Orbán stellt.
Im ungarischen Parlament, das 2018 neu gewählt wurde, regiert die Fidesz (in einem engen Bündnis mit der bürgerlichen KDNP) mit einer knappen Zweidrittelmehrheit, obwohl sie nur die Hälfte der Direktstimmen erhielt. Das verdankt sie der Reform des Wahlsystems von 2011, die die Mehrheitswahl eines Direktkandidaten in einem Wahlkreis erleichtert und somit größere Parteien bevorzugt. Überraschenderweise wurde diese Wahlreform damals von der Fidesz geplant und verabschiedet.
Den bisherigen Europawahlkampf dominierte die Fidesz durch einen radikalen Anti-EU-Kurs, der sich gegen die Migrationspolitik von Deutschland und der EU richtet. Reale Probleme werden ausgeklammert und man beschränkt sich komplett auf den Kampf gegen die Einwanderung in Europa. Schließlich ist dieses Thema äußerst emotional besetzt und Sachpolitik sowas von 2012.
Für Viktor Orbán ist Brüssel die „virtuelle Welt der privilegierten europäischen Elite“ , die durch ihre Migrationspolitik das christliche Abendland gefährde und einen „Bevölkerungsaustausch“ anstrebe. Die Europawahl wird zur Schicksalsfrage um die „Existenz unserer christlichen Zivilisation“ gemacht und Orbán befürchtet, dass auf Europa eine „Völkerwanderung“ zukommt, die Europa nur durch höhere Geburtenraten abwenden kann. Hier kann sich jeder die unkommentierte übersetzte Rede Orbáns vom 5. April 2019 zur EU gönnen, aber Achtung, nicht alle Behauptungen sind wahr.
Sein „Erzfeind“ (ja, Erzfeinde gibt es tatsächlich noch) ist der ungarische Milliardär George Soros, gegen den Orbán antisemitisch geprägte Hetzkampagnen führt. George Soros lebt mittlerweile in den USA und unterstützt liberale Projekte wie die Central European University (CEU), die eine proeuropäische Universität in Budapest war. Allerdings wurde ihr seit letztem Jahr der Betrieb verweigert und sie musste nach Wien umziehen, weil diese Universität Orbán ein Dorn im Auge war, vor Allem wegen ihrer liberalen Lehre, die auch Genderforschung umfasste.
Zudem behauptet Orbán, dass die EU illegale Masseneinwanderung fördern will, womit hier ernsthaft durch die Regierung eine in rechten Netzwerken populäre Verschwörungstheorie bedient wird, dass Soros den Bevölkerungsaustausch von Europa planen und finanzieren soll. Gegen Soros und den EU-Kommissionschef Jean-Claude-Juncker, führte er im Frühjahr mit Großplakaten eine Propagandakampagne: „Auch Sie haben ein Recht, zu erfahren, was Brüssel vorbereitet.“ Juncker hat diese persönlichen Angriffe auf seine eigene Art beantwortet und auf dem EU-Gipfel Viktor „The Dictator“ Orbán wortwörtlich abgewatscht.
Die EU ist in den Augen von Orbán also eine lästige Institution, die die Aufnahme von Flüchtlingen fordert und sogar schon ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn eingeleitet hat. (Das EU-Parlament erstellte 2018 einen Bericht, in dem Ungarn „eine systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn“ attestiert wird.)
Und wenn Ungarn den Euro hätte, würde man wahrscheinlich auch die Rückkehr zum Forint fordern. Warum war dann trotz dieser EU-feindlichen Stimmung noch nie die Rede vom „Huxit“ ? Die Antwort liegt auf der Hand, wenn man sich allein die Investitionen von deutschen Unternehmen wie Audi und Bosch in Ungarn ansieht. Diese lassen in Ungarn Automobile und Turbinen produzieren und schaffen viele gutbezahlte Arbeitsplätze. Im Industriesektor ist Ungarn stark von ausländischen, speziell deutschen, Firmen abhängig, die auch mit Vergünstigungen angelockt werden. Orbán weiß die Vorteile des Binnenmarktes, den die EU geschaffen hat, durchaus zu schätzen und Ungarn hat wie alle ehemaligen Ostblockstaaten auch ein verteidigungspolitisches Interesse an der Einbindung in den Westen.
2017 erhielt Ungarn zudem 3,1 Mrd. € aus dem EU-Haushalt und war damit der viertgrößte Nettoempfänger innerhalb der EU (hinter Polen, Griechenland und Rumänien). Pro Kopf sind das 321 €, die nach Ungarn fließen und den „Aufbau Ost“ in Form von sozialen Projekten und Infrastrukturausbau unterstützen. Finanzielle Sanktionen hat man hier nicht zu befürchten, also kann man weiterhin bequem gegen die Brüsseler Bürokratie und die Regularien hetzen.
Für Orbán soll sich die EU auf den freien Handel und maximal noch Reisefreiheit beschränken. Das wäre eine Rückkehr zu einer reinen Handelsunion, deren Staaten ansonsten nicht viel verbindet, und ein krass konservativer Gegenentwurf zu der Idee des französischen Präsidenten Macron, der ein noch stärkeres Zusammenwachsen der EU fordert. Wegen ihrer rechtspopulistischen Politik und vor Allem wegen der europafeindlichen Kampagnen gegen Juncker wurde die Fidesz aus der EVP sogar zeitweise ausgeschlossen.
Die Fidesz allein würde im Europaparlament mit ihren voraussichtlich 12 – 15 Abgeordneten von insgesamt 751 nicht viel Schaden anrichten. Sie könnte aber die Fraktion wechseln und mit der italienischen Lega, der polnischen PiS und der AfD zusammenarbeiten und diese destruktiven Kräfte stärken. Als Ministerpräsident von Ungarn hat Orbán jedoch sowieso mehr Potenzial, die EU zu destabilisieren als durch seine Parlamentarier in Brüssel.
Doch was steht auf der Agenda der oppositionellen Parteien?
Jobbik (kurz für: "Bewegung für ein besseres Ungarn") ist die größte Oppositionspartei im Parlament und vertritt teils konservative und teils rechtsextreme Positionen. Sie ist jedoch auch ein Gegner der Fidesz, fordert den Kampf gegen Korruption und bemüht sich auch anderweitig, seriösere Themen wie Sozialpolitik aufzugreifen. Seit einigen Jahren sind deshalb viele antisemitische und Roma-feindliche Mitglieder aus der Partei ausgetreten, weil sie ihnen nicht mehr radikal genug ist.
MSZP (Magyar Szocialista Párt, Ungarische Sozialistische Partei): Trotz des Sozialismus im Namen ist diese Partei eher sozialdemokratisch aufgestellt und mit der deutschen SPD vergleichbar. Genau wie diese schränkte sie in den 90ern den Sozialstaat ein, der große Absturz folgte jedoch erst 2010, als sie von 43% auf 19% absackte. Momentan ist sie die zweitgrößte Oppositionspartei und beneidet wahrscheinlich sogar die SPD um ihre Stärke.
Die DK (Demokratikus Koalíció, Demokratische Koalition) spaltete sich 2011 von der MSZP ab, sie ist sozialliberal und proeuropäisch und auf Wahlplakaten bezeichnet sie sich als „die europäischste Partei“ (falls es einen Wettbewerb darum geben sollte). Sie wird hauptsächlich in ungarischen Großstädten gewählt, also in Budapest.
Die Partei LMP (Lehet Más a Politika, Die Politik könnte anders sein) setzt sich für Umweltschutz, Nachhaltigkeit und die Bekämpfung von Korruption ein. Sie fordert mehr Mitspracherecht der Bürger und versteht sich ausdrücklich nicht als links oder rechts, sondern will jeden ansprechen und die politische Lagerbildung überwinden.
Die Kleinpartei Párbeszéd (Dialog) spaltete sich 2012 von der LMP ab und bestand aus linksliberalen Abgeordneten der LMP. Sie bildet mit der MSZP eine gemeinsame Wahlliste, konzentriert sich auf ökologische Themen und ist ansonsten linksliberal und feministisch.
Was ist lila und steht vor den Metrostationen? Genau, die sehr engagiert Wahlkampf betreibende Kleinpartei Momentum. Sie entstand 2017 aus einem Volksbegehren gegen die Olympia-Bewerbung Budapests und ist proeuropäisch und liberal.
Was in Deutschland die Satirepartei Die Partei ist, ist in Ungarn die MKKP (Magyar Kétfarkú Kutya Párt, Ungarische Partei des Zweischwänzigen Hundes). Sie weist mit satirischen Mitteln auf reale Probleme Ungarns hin, z.B. hält sie den Grenzzaun gegen Flüchtlinge für überflüssig, da man einfach die Durchschnittslöhne und die Krankenhausstatistiken an der Grenze ausschildern könnte, woraufhin die Flüchtlinge wohl einen Bogen um Ungarn machen würden. Da wegen der niedrigen ungarischen Löhne viele Ungarn im Ausland arbeiten, fordert sie eine Reduzierung der „gehässig hohen Auslandslöhne“ z.B. in Deutschland um 65%.
Die Opposition in Ungarn erinnert momentan stark an die Parteienlandschaft der Weimarer Republik – sie ist komplett zersplittert und polarisiert. Es gibt viele liberale Menschen, die sich auch in Parteien engagieren, aber anstatt Kompromisse zu schließen und ein großes Ziel wie einen Machtwechsel der Fidesz anzustreben, flüchtet man sich in Flügelkämpfe. Wer darauf keine Lust hat, spaltet sich einfach ab und gründet seine eigene Partei, denn zwei Schwache sind bekanntlich besser als ein Starker.
Lediglich bei den Demonstrationen im Dezember 2018 gegen das „Sklavengesetz“ war sich die komplette Opposition einig, dort wehten die Ungarnflaggen der rechtsextremen Jobbik einträchtig neben den sozialdemokratischen Flaggen der Gewerkschaften und man war sich im Chor einig, dass man ein Problem mit der „mocskos Fidesz“, der „dreckigen Fidesz“ hat.
Es wird bei dieser Wahl sicher keine Überraschungen geben, nach den letzten Umfragen kommt die Liste Fidesz/KNDP auf 53%, der Block der explizit europafreundlichen Parteien auf nur 20%. Vielleicht könnte es schon als Erfolg gewertet werden, wenn sich die Ungarn aufraffen und die Wahlbeteiligung über die lächerlichen 29% der letzten Europawahl 2014 steigt.