EURO 2012 in der Ukraine, Teil I
Mein Trip in die Ukraine zum Spiel Dänemark - Deutschland.
Einigen von euch hatte ich ja schon verraten, dass ich mir Tickets für das Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die Dänen gekauft hatte. Dazu entschlossen hatte ich mich, da das Spiel in Lwiw (Lemberg) stattfinden sollte und ich so "nur" 500km Entfernung zu bewältigen hatte. Letztes Wochenende war es dann soweit, ein deutscher Mitfreiwilliger aus Bratislava und sein Bruder hatten sich als Begleitung gefunden und sich auch um die Reise und Unterbringung gekümmert, was gar nicht so einfach war. Am Ende stand war der Plan einen Bus in Ostrava (Tschechien) zu nehmen und in einem Hostel zwei Nächte zu bleiben. Rückreise blieb noch offen.
Freitagmorgen packte ich dann meine Sachen um mich gegen Mittag in Richtung Ostrava aufzumachen. Ging nochmal alles durch was ich brauchte und merkte, dass ich meinen Reisepass noch nicht eingepackt hatte. Nach kurzem, erfolglosem Suchen fiel mir plötzlich ein, wo er sich befand und mein Herz blieb kurz stehen. Das kleine Stück Pappe befand sich in Ungarn. Genauer gesagt in einem Ordner, den ich als überflüssiges Gepäck meiner Mutter mit auf dem Weg gegeben hatte. Sie hatte mich die Woche davor besucht und mich bei der Gelegenheit von Winterklamotten und anderen Zeug, das ich nicht mehr benötigte befreit, um mir die Heimreise leichter zu machen. Danach brach sie in Richtung Ungarn auf, um sich Budapest anzugucken und meinen Opa, der sich in Hévíz zur Kur befand, zu überraschen.
"Vielleicht haben die Ukrainer die Einreisebestimmungen im zuge der EURO 2012 ja gelockert und ich brauche gar keinen Reisepass", dachte ich mir und checkte die Webseite der deutschen Botschaft in Kiew. Hatten sie nicht. Ein Reisepass sei umbedingt erforderlich. Mit jedem Mal, mit dem mein Kopf auf die Tischplatte aufschlug wurde mir klarer, dass es nur eine Möglichkeit für mich gab tatsächlich noch nach Lwiw zu kommen. Ich musste so schnell es geht nach Ungarn aufbrechen und meine Mutter früher als geplant wiedertreffen, was einen erachtlichen Umweg mit sich brachte, der in einer halben Stunde geplant werden musste.Also suchte ich die Verbindungen raus, telefonierte mit meinem Mitfreiwilligen, des Nerven schon gereizt waren, weil der Zug seines Bruders zwei Stunden Verspätung hatte und versuchte meine Mutter zu erreichen. Letzteres gelang mir nicht, also brach ich nach Ungarn auf ohne zu wissen, wo ich genau hinfahre. Immerhin war ich mir zu 99% sicher, dass meine Mutter sich entweder in Budapest oder in Hévíz befand, aber das letzte Prozent Unsicherheit raupte mir die Fahrt über jegliche Ruhe. Als ich gegen sechs Uhr Abends vor dem Keleti Bahnhof in Budapest stand, gelang es mir endlich über Umwege meine Mutter zu erreichen. Sie war schon in Hévíz und nein, es war kein Problem, dass ich den späten Abend noch vorbeikam.
Ich wechselte Geld bei einem Roma der durch den Bahnhof schlich und den Wechselstuben die Kunden wegschnappte, kaufte mir schonmal ein Ticket nach Lwiw für den nächsten Abend und machte mich auf zum nächsten Bahnhof, von wo aus ich nach Hévíz gelangen konnte. Dort zählte ich mein Geld, denn ich hatte etwas Hunger und ja, es reichte nach dem Ticket noch für einen Hamburger. Beim Anstehen am Imbiss fiel mein Blick allerdings auf eine Dose Löwenbräu in einem Kühlschrank. Mein Magen verlor gegen den stressbeladenen Tag und so bemerkte ich kurze Zeit später beim entspannenden Biergenuss, dass jetzt alles wieder im Lot ist. Der Zug kam, nahm mich für drei Stunden mit durch die Dämmerung und setzte mich schließlich in Balatonszentgyörgy am Südufer des Balaton ab, wo mich meine Mutter schon erwartete und auf den Campingplatzt mitnahm. Dort verfluchte ich kurz meinen Reisepass, packte ihn in meine Hosentasche und kroch in meinen Schlafsack, froh dass der Tag so gut zu Ende ging.
Der nächste Morgen wurde mit einem leckerem Frühstück begonnen, bei dem jeder vorbeiwatschelnde Rentner mit "Guten Morgen" begrüßt werden wollte, Deutsche waren hier klar in der Mehrheit. Danach wusch ich mich und als ich zum Zelt zurückkam, erwartete mich dort schon mein Opa. Der hatte wie immer eine Menge zu erzählen, dem ich nach acht Monaten in denen wir uns nicht gesehen hatten gerne lauschte und verschwand dann wieder in sein Hotel. Bevor es für mich dann am späten Mittag zurück nach Budapest ging, musste natürlich vorher Hévíz Hauptattraktion besucht werden, der größte Thermalsee der Welt. Dank seinen Schwefelgehaltes und seiner warmen Quellen roch der nicht nur nach alten Eiern, sondern war auch 35°C warm. Nicht gerade die perfekte Abkühlung bei gut 25°C an der Luft, aber auf jedenfall ein Erlebnis und danach konnte man sich in dem ansehnlichem Gebäudekomplex kalt abduschen. Danach ein kurzer Abschiedsbesuch bei Opa im Hotel und ab in die Stadt um noch ein Teller Gyros zum Mittag zu bekommen, bevor es dann zum Bahnhof ging. Dort habe ich meine Mutter ein zweites Mal für den Rest des Sommers verabschiedet, stieg in den Zug und fuhr dann am Balaton entlang durch einen heißen Sommertag zurück nach Budapest. Per Metro ging es wieder zum richitgen Bahnhof. Dort wurde noch kurz eingekauft und dann ab zum Zug.
Auf dem Bahnsteig forderte ein ukrainischer Fahrtbegleiter meinen Pass, nachdem ich ihm mein Ticket gezeigt hatte, murmelte beim Betrachten kurz:"Germanija", zu seiner Kollegin und zeigte auf die Nummer 23 auf meinem Ticket und dann auf den Zugwagon. Ich wusste also, wo mein Bett sich befand und stieg ein. Meine Cheffin hatte mich vor einer ukrainischen Zugfahrt gewarnt, aber ich hatte Glück und durfte in einem neuen Wagon reisen, geräumig ist allerdings was anderes. Ich hatte das oberste Bett in einem 3er-Abteil, dort lagerte ich zunächst mein Rucksack. Als ich es mir auf der Sitzbank bequem gemacht hatte, erschien mein erster Abteilpartner in der Tür. Er blickte sich ungläublich im Abteil um und grüßte auf Russisch, was ich auf slowakisch erwiderte. Sein Blick galt den allerdings dem Platz, denn er hatte eine riesige Mikrowelle dabei. Während ich ihm dabei half das Ding zu verstauen kamen wir übers Englische zum Deutschen, das er perfekt beherrschte, Viktor war deutscher Staatsangehöriger! Während der Reise stellte sich heraus, dass er Doktor der Physik ist und in Wien lebt und arbeitet und zwar bei einer Bank. Vorher hatte er in Berlin an Lasern geforscht doch das war ihm zu stressig und so wechselt er, als den Banken bei der Finanzkrise einfiel, dass jemand mal die Risikowahrscheinlichkeit ihrer Finanzprodukte berechnen könnte. Da auch die studierten Angestelten einer Bank dazu nur schwerlich in der Lage sind, brauchen die so seit der Krise Mathematiker und Physiker.
Der Dritte in unserem Abteil war ein junger Japaner koreanischer Herkunft, der seit eineigen Monaten auf eigene Faust durch Europa tingelte und sich selbst in drei Monaten Russisch beigebracht hatte. Er wolle nicht mehr in Japan wohnen, da sei es zu überbevölkert und so schaute er sich nach Universitäten in Europa um, damit er da seinen Studium abschließen kann. Wie das funktionieren soll, nachdem man in Japan Jura studiert hat blieb mir allerdings ein Rätsel. Der Typ machte ohnehin einen eher verlorenen Eindruck, so nett er auch war.
Die Fahrt war, und das hätte ich nie von einer Zugfahrt erwartet, holprig. Immerhin haben die Betten Geländer, so konnten wir bei heftigen Stößen nicht herunterfallen. Nachdem wir uns den Abend interessant unterhalten hatte legten wir uns in die Betten und versuchten zu schlafen, doch als wir die Grenze erreichten, wurde uns das schwer gemacht. Zunächst kamen Zollbeamte an Bord und sammelten unsere Pässe ein, dann mussten von allen Wagons die Räder getauscht werden, weil die Ukrainer eine andere Schienenbreite haben. Dazu wird jeder Wagon etwas nach oben geschraubt, was natürlich einen ordentlichen Lärm macht und dazu bellten irgendwo unentwegt Hunde. Ich las die knapp zwei Stunden, die das ganze in Anspruche nahm, bis irgendwann ein Soldat reinkam und uns unsere Pässe wiedergab. Die Fahrt ging weiter und ich konnte trotz der Hitze die im Zug herrschte gut schlafen.
Am nächsten Morgen wachte ich total verschwitzt in dem muffigen Abteil auf, wir bauten die Betten zurück zur Sitzbank und frühstückten, wobei wir uns leckeren Tee beim Zugbegleiter kaufen konnten, was Standard in jedem ukrainischen Zug ist. Dr. Viktor verließ uns eine Station vor Lwiw und brachte seinen Eltern die Mikrowelle vorbei. In Lwiw verabschiedete ich mich vom Japener, der noch keine Unterkunft hatte und dachte die EM sei schon vorbei. Dann rief ich meine Mitstreiter an, die schon am Tag zuvor angekommen waren. Sie kämen mich in einer halben Stunde abholen. Perfekt, dachte ich, reicht gerade für eine Dusche und ja, die Bahnhöfe in der Ukraine haben Duschen. Ich gab der Putzfrau in Zeichensprache zu verstehen, dass ich mich duschen wollte und bezahlte die 20 Hrywnja gerne, die ich zuvor getauscht hatte. Frisch geduscht wartete ich in der großen Eingangshalle voller Deutscher des sehr schönen Bahnhofs und freute mich, dass ich endlich da war.
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