Eiszeit in Easington
Johannson hat es momentan nicht leicht: Gezwungenermaßen vom Warmduscher zum Survivalexperten gewandelt, hält er tapfer seit vier Wochen täglich eiskalte Duschen und eine auch ansonsten heizungsfreie Farm aus. Da hilft nur eins: raus ins pralle Leben, liebe Leute und Städte mit warmen Gebäuden besuchen.
Kaltes klares Wasser
„Jeden Tag, steh ich auf und wasche mich. / Jeden Tag, schütt ich mir kaltes Wasser ins Gesicht!“. Tocotronic sind Weicheier. Seit vier Wochen schütt ich mir eiskaltes Wasser nicht nur ins Gesicht, ich gieße es mir über den ganzen Körper. Und das nicht nur morgens, sondern auch abends.
Wieder einmal willkommen zum wundervollen Leben auf der Farm. Wo der Boiler wieder kaputt ist und wir wieder im Kalten sitzen, keine Heizung haben, nicht abwaschen, keine Wäsche waschen, uns nur unter Qualen selbst reinigen können. Meine Urgroßeltern haben besser gelebt. Seit vier Wochen sind die wertvollsten Geräte im Haushalt Wasserkocher und eine Hand voll Heizlüfter, die wir „Youth in Action“ geklaut haben.
Zwei Wochen hat dieser Klempner diverse Teile am eigentlichen Boiler ausgetauscht. Bis Paul mal für eine halbe Stunde selbst losgegangen ist und in dreißig Minuten den Fehler fand, der ganz woanders lag, nämlich im Öltank. Tja, natürlich ist dieser Mensch kein Tankspezialist, ich bezweifle ehrlich gesagt, dass er Spezialist für irgendwas ist. Jedenfalls sitzen wir vierzehn Tage später immer noch frierend hier rum, weil angeblich erst die nötigen Teile bestellt werden müssen. Ich hab noch nie eine Firma gesehen, die heutzutage mehr als drei Tage auf Ersatzstücke warten muss. Gerade haben wir dann erfahren, dass nach eineinhalb Wochen die falschen Teile eingetroffen sind und sie jetzt auf die richtigen warten. Warten, genau das tun wir auch. Vier Wochen ohne Heizung und Warmwasser, mitten in Europa. Normalerweise wäre für Leute wie uns schon längst eine Stiftung gegründet worden. Paul ist inzwischen ziemlich böse.
In meinem fensterlosen Bad ist ein kleiner Lüfter, der Luft nach außen schaufeln soll. Der draußen auch jetzt laut pfeifende Wind besiegt den kleinen Motor aber im Handumdrehen, und so fegt immer ein konstanter Luftstrom durch mein Bad. Genau dort, wo ich mich dusche. Wenn das Wasser nicht ohnehin so kalt wäre, ich könnte von diesem Zug glatt frieren.
Just walking in the rain...
Wenigstens der Computer geht jetzt wieder, nach einer ähnlich unerklärlich langen Wartezeit. Der IT-Mann hat gleich ein halbes Dutzend Viren gefunden, darum habt Ihr in letzter Zeit nichts von mir gehört.
Keine Heizung, kein Warmwasser, kein Computer, bloß gut, dass ich die letzten Wochenenden immer von hier fliehen konnte. Dabei hat’s mich letzte Woche schon wieder mit einer Erkältung erwischt. Ich war so was von sauer, wo ich meine letzte gerade erst losgeworden bin. Kein Wunder in diesem Eisschrank.
Es ist zum wahnsinnig werden, wenn einem durch so etwas die ohnehin schon wenigen Wochen gestohlen werden. Zumindest hab ich mir keine Urlaubstage klauen lassen und trotzdem weitergearbeitet. Ich lass mir schließlich von so etwas nicht sagen, wo’s lang geht. Passiert ist dabei nicht viel. Wir haben weiter Schlaglöcher gefüllt und Donnerstag waren wir mal in Yorkshire mit der Walking Group, mit einer NT Warden von da unten die Küste lang wandern. Was ich aber in meinem Zustand und bei Nieselregen nicht wirklich genießen konnte. Wenigstens hat die lange An- und Abfahrt jedwede sonstige Arbeit unmöglich gemacht, sodass ich (zu Pauls offensichtlicher Erleichterung) um drei wieder in mein Bett verschwunden bin.
Schadenfreude, schönste Freude
Denn am Tag darauf war ich zum zweiten Mal als Freiwilliger auf Gibside eingeplant, wie schon letztes Mal krank und trotzdem antretend. Paul hat mich abends nach Newcastle gebracht, weil er selbst mal von der kalten Farm wegwollte, und ich hab wieder bei Peter Brabban (der mir übrigens seine Lieblingstouren im Lake District empfohlen hat) übernachtet.
Vorher gab’s aber noch ein Spiel anzusehen: Newcastle gegen Lissabon im UEFA-Cup. Die Toon-army hat zwar nicht geglänzt, aber wenigstens gewonnen. Mit einem Tor von, wer auch sonst, Shearer. Dummerweise haben sie gerade vor ein paar Minuten im Rückspiel verloren, und zwar heftig. Idioten. Vor kurzem haben wir Schlagzeilen gemacht, weil sich auf einmal zwei Spieler auf dem Platz prügelten. Wieso werden immer die unterentwickeltsten Kinder die bestbezahlten Fußballer? Schlagen sich wie auf dem Schulhof vor 52.000 Leuten und wer weiß wie vielen am Fernseher. Leider sind sie zu wertvoll, um gefeuert zu werden. Am Sonntag geht’s im FA Cup gegen Manchester United und nicht einmal Fanatikern wie Peter schwant Gutes. Die haben allerdings auch gerade erst verloren, gegen einen Abstiegskandidaten in der Premiership, genau wie Bayern im UEFA-Cup. Äußerst befriedigend, diese beiden Teams innerhalb einer Woche verlieren zu sehen.
Freitag auf Gibside: Ein Name für mein Monster
Auch wie schon beim letzten Mal ging es mir am nächsten Tag wieder erstaunlich gut, selbst wenn ich mich vorsichtshalber dick verpackt habe. War auch nötig, denn diesmal haben mein Team und ich auf Gibside den ganzen Tag auf einem Feld gestanden und die übrig gebliebenen Wurzeln des dort kürzlich noch vorhandenen Waldstücks eingesammelt. Von 9.00 bis 17.00 Uhr, dazu gelegentliche Schnee- und Hagelschauer.
Dafür hab ich diesmal Sandra Ellis kennen gelernt, meine Art Chefin, soweit ich das verstanden habe. Es überrascht mich immer wieder, wie Freiwillige hier behandelt werden. Ich sehe mich in erster Linie als normale Arbeitskraft, die tut, was man ihr sagt. Aber hier werd ich jedes Mal gefragt, ob ich diesen Job machen will oder nicht. Woran ich mich noch immer nicht gewöhnt habe. Und nachdem ich gerade einmal angefangen hatte, wurde ich mittags schon gefragt, ob ich sicher sei, mit meiner Erkältung nicht Schluss machen zu wollen. Nee, nee, ich bin dageblieben bis der letzte das Licht ausgeknipst hat.
Aber wisst Ihr, was ich Furchtbares erfahren habe? Die EVSler für Gibside stehen jetzt fest, eine Spanierin, eine Litauerin und einer aus Lichtenstein; direkt vor meiner Nase. Und sie alle treffen am 2. September ein, genau drei Tage nach meiner Abreise. Während ich mich gerade durch die letzten Stunden bis zum Wochenende quäle, umgeben von verzogenen, verwöhnten, stressenden kleinen Kindern. Ich glaub, das ist auch genau der Tag, an dem Rebekka hier eintrifft. Tatatataaa, ein Haufen Leute, pünktlich und auf dem Silbertablett, viel Spaß! Das ist eindeutig zu genau geplant, um Zufall zu sein. Was hab ich damals über meinen Gremlin geschrieben? Ich habe jetzt sogar einen Namen für ihn: Murphy. Schlechte Welt.
Schlimmer geht immer
Das war gegen fünf Uhr nachmittags und ich hatte keinerlei Zeitdruck, nach Hause zu kommen, da ich ja in Newcastle übernachtete. So stand ich erst gegen acht oder so wieder bei den Brabbans vor der Tür. Vorher hatte ich noch einen kleinen Zwischenstopp im Metrocenter eingelegt, dass ist ja ohnehin auf meinem Weg. Auch diesmal wurde es mir nicht sympathischer. Vor allem, als ich auf dem Bahnsteig auf meinen Zug nach Newcastle gewartet hab, waren da wieder diese englischen Frauen und Mädchen. Eine Gruppe, wo ich erst auf den zweiten Blick erkennen konnte, dass eine die Mutter sein musste, da sie in exakt der gleichen rosa Uniform wie ihre etwa 15-jährige Tochter herumgelaufen ist. Die hatten noch ein kleineres Kind mit sich. Und ich hätte bei bestem Willen nicht entscheiden können, wer von den beiden die Mutter ist. Wirklich, Mädchen, bei denen man sich denkt „Bitte setz Dich nicht neben mich.“ Zurück in Deutschland werd ich nie wieder meckern, sondern jedes Mal denken „Es könnte auch schlimmer sein. Es könnte eine Engländerin sein.“
Samstag: Lieder wider das Glück
Am nächsten Tag fühlte ich mich so gut, dass ich spontan wieder meinen ursprünglichen Plan aufgriff und nach York fuhr. Vorher bin ich noch kurz über die Northumberland Road gelaufen, hab einen Scheck eingelöst und vor allem endlich die „I might be wrong“-EP von Radiohead erstanden, die mit dieser unbeschreiblichen Version von „Spinning plates“. Was für ein Song. Zum Glück hatte ich den damals nicht auf meinem Winterspaziergang; ich wäre von den Klippen nicht mehr zurückgekommen. Und diesmal war es sogar bezahlbar, nur noch ein Drittel des ursprünglichen Preises wollten sie haben. Immer noch fünf Pfund, aber wenn das Radiohead hilft, weiterhin die schlechte Botschaft zu verbreiten, ist es gut investiert.
Jung, dynamisch & flexibel
Danach hab ich mir dann soviel Spontaneität bewiesen, dass ich selbst stolz bin. Ich bin schnurstracks zum Bahnhof gelaufen, hab mir in drei Minuten ein Ticket besorgt und saß zwei Minuten später im Zug nach York. Und das alles zu einem Preis, über den man nicht meckern kann. Wobei ich ja irgendwie finde, ohne lange vorherige Planung und Vorfreude hat solch ein Ausflug in etwa soviel Spannung wie ein Spaziergang am Sonntagnachmittag. Vor allem, wenn es bis York nur eine Dreiviertelstunde ist. Man kommt sich vor, als wäre man nur mal kurz nach Peterlee gefahren und nicht bis eine Station vor Leeds und Manchester.
Grau und hässlich
York selbst war dann auch irgendwie enttäuschend. Vor allem, weil das Wetter nicht besonders begeisternd war, mit Regen und Kälte und Wind, so pfui, so bäh. Hatte nichts von all dem Charme meines ersten Besuchs. So ein bisschen missmutig bin ich dann auf der Stadtmauer vor mich hin spaziert, von der man nicht all zuviel sah, bis ich zum Fluss gekommen bin, also zur Ouse. Auf der anderen Seite konnte ich eine Art Turm erblicken, der sich später als die „Burg“ rausstellte. Na ja, aber wo ich schon einmal da war hab ich die zwei Pfund bezahlt um später nichts zu bereuen. Leider hat das dem English Heritage gehört und nicht dem Trust, auch wenn wir manchmal eng zusammen arbeiten. Es war auch nicht wirklich interessant, und ich bin nach vielleicht zwanzig Minuten wieder raus in den Nieselregen.
Ach, was soll ich sagen, ich bin nur die Strassen lang geschlendert; York schien auf einmal soviel kleiner als beim letzten Mal. Als wenn ich alles schon gesehen hätte. Ich hab mich für eine halbe Stunde ins gleiche Café gesetzt, im gleichen Weighhouse ein paar Sachen gekauft (nur war es diesmal viel teurer), in einem Deli wieder ein bisschen Käse gekauft... Gut, letzterer war der schickste, den ich bisher gesehen habe. Sah fast so gut aus wie in Edinburgh, auch wenn er nicht soviel Auswahl hatte. Ich hab irgendwas mit einem italienischen Namen mitgenommen, was auch verdammt gut schmeckt. Nur die Secondhandläden waren ermutigend, dort habe ich zum ersten Mal Bücher und CDs zu Preisen entdeckt, die ich bereit bin zu zahlen.
Grau und trotzdem schick
Zum Schluss hab ich mal ein National Trust Haus besucht, was sehr nett war weil ich dort umsonst rein gekommen bin. Das nannte sich „Treasurer’s House“, also Haus des Schatzmeisters (der Kathedrale im Mittelalter). Es gehörte ursprünglich einem Industriellen, war im Stil des 18. Jahrhunderts eingerichtet und die erste Besitzung, welche samt Inventar dem Trust zugekommen ist. Interessiert hat’s mich weniger, aber es war trocken sowie beheizt. Und wo es schon einmal gratis ist... Außerdem wollte ich mal sehen, wie diese größeren Besitzungen so arbeiten.
Bevor ich gegen sechs in den Zug zurück gestiegen bin, lief ich noch durch einen kleinen Park am Ufer der Ouse, mit einer alten Kirchenruine. Der war voll von Eichhörnchen, wenn auch nur grauen, was ich an sich schon ansprechend fand. Aber als ich mich einmal hingehockt habe, um vorsichtig meine Kamera für ein vor mir auf einem Stein sitzendes Exemplar aus dem Rucksack zu holen, hebt das auf einmal schnüffelnd den Kopf in meine Richtung und hoppelt erwartungsvoll guckend auf mich zu. Ah! Die müssen die Tiere dort echt verwöhnen.
Keine Ahnung I: Studentischer Vortrag über Kommunismus
Wieder in Newcastle wollte ich eigentlich ins Tyneside Cinema gehen, da dort gerade wieder viele interessante Filme laufen. Natürlich bin ich gerade zur ungünstigsten Zeit gekommen, mit mehr als einer Stunde bis zum nächsten Streifen, was ich mir nicht antun wollte. So hab ich mich ins Café daneben gesetzt um auf den Bus zurück zu Peter zu warten. Dabei bin ich mit so einem Studenten ins Gespräch gekommen, der wohl auch nicht so ganz genau wusste was er eigentlich sagen wollte, und eine halbe Stunde lang über Kommunismus geredet hat, ohne zu einem wirklichen Punkt zu kommen. „Ist ja eigentlich eine prima Idee, funktioniert eben leider nicht, auch wenn es eine tolle Idee ist, nur eben nicht praktikabel, aber der Gedanke ist gut“ und so weiter. Bei aller Sympathie für diesen Menschenschlag, ich war froh, als mein Bus kam.
Keine Ahnung II: Freiwilliger in der Kirche
Sonntag bin ich dann durch die Gegend gefahren, dass es eine Freude war. Morgens um acht hab ich mich aus den Federn respektive dem Sofakissen gezwungen, um um zehn in Seaham zu sein, weil ich endlich mal mit Joanna zur Kirche gehen wollte. Ja, ich mach komische Sachen, was?
Das war wirklich interessant, mein erster katholischer Gottesdienst seit Ewigkeiten. Erstmal hab ich gestaunt, wie voll es da war, das hab ich in diesem Land nicht erwartet. Zum Glück wurde ich überhaupt rein gelassen, wie ich da mit meinen abgewetzten Arbeitsschuhen und leicht dreckigen Hosen ankam. Der Priester war wohl ein Ire und ich hab fast nichts verstanden. Aber lustig war es trotzdem, soviel Wert wie dort auf Rituale und Formalitäten gelegt wird. Alle fünf Minuten steht man auf zum Beten, das ist nicht so bequem wie bei den Protestanten. Und dann die Kommunion...ich bin mit nach vorne gegangen, wollt das ja schließlich mal ausprobieren. Der Pfarrer hat irgendwas gesagt, was ich wieder nicht verstanden habe, also meinte ich „wie bitte?“, was ihn wirklich verwirrt hat. Daraufhin sagte ich nur noch „Amen“, wie mir Joanna empfohlen hatte, was ihm zwar scheinbar nicht viel geholfen hat, aber ich hab trotzdem meine Oblate bekommen. Welche ich auf Joannas empörte Korrektur hin auch nur gelutscht und nicht gebissen hab. Schließlich ist das der Leib Christi. Das war wirklich lustig.
Sie hat mich übrigens vor kurzem mit einer ganzen Menge Touristeninfomaterial aus ihrer Heimatregion versorgt. Und ich hab mal wieder gestaunt, wie ähnlich das meiner eigenen ist. Manche Plätze könnte man ausschneiden und bei uns einkleben, das würde keiner mitkriegen. Sogar die Probleme sind dieselben.
Kuchen statt Fußball
Ich hätte meine Klamotten gleich aus Newcastle mitnehmen und nach der Kirche nach Hause fahren sollen. Aber ich dachte ja immer noch, es wäre vielleicht doch noch genug Zeit für einen Besuch im Tyneside Cinema. Daraus ist, wie Ihr schon vermutet, nichts geworden. Im Endeffekt bin ich eigentlich nur zurück in die Stadt, um meine Sachen zu packen und wieder zu verschwinden. Ursprünglich wollte ich noch mit Peter zu einem Fußballspiel seines Sohns Jack gehen, aber dafür kam ich zu spät zurück. Dafür wurde ich dann noch von Mrs. Brabban mit Lunch sowie etwas Karotten-Kuchen versorgt und sogar zum Bahnhof gefahren, wo ich also wieder die gleiche Strecke zurück nach Seaham fuhr.
Meine Zweitwohnung
Da bin ich dann auch den ganzen Nachmittag geblieben. Eigentlich wollte ich ja nur zwanzig Minuten herumbringen, um nicht ewig an der Bushaltestelle zu stehen. Das Haus der Polinnen ist ja so schön nah am Bahnhof, aber die haben mich dann vor halb sieben nicht gehen lassen. Jola, die etwas später von der Arbeit kam, meinte später zu Joanna „Als ich nach Hause kam, war Johannes gerade eingezogen“.
Mit ihnen hab ich dann den Kuchen geteilt. Sie haben natürlich auch welchen rausgeholt und Kaffee und sogar ein paar Piroggi, extra für mich. Ich bin irgendwie oft da in letzter Zeit. Grad vor zwei oder drei Wochen war ich Asia mal besuchen, als die drei anderen gerade in Polen waren. Bei der Gelegenheit traf ich auch das erste Mal Kasia, Madzias kleine Schwester. Hab ich davon schon erzählt? Na ja, die hab ich diesmal auch wieder gesehen. Es ist erstaunlich, wie schnell sich die beiden eingelebt haben. Die ganze Zeit waren sie mit den Nachbarskindern spielen (zum Glück wurden sie von ihrem Boss in einer besseren Gegend Seahams untergebracht) und Madzia hat schon als Übersetzer für mich und Kasia agiert. So kam ich erst gegen acht wieder nach Hause auf die kalte Farm, nachdem ich vier Tage am Stück unterwegs war. So hab ich mir das Leben hier vorgestellt.
Besuch in Utopia
Vor einigen Wochen habe ich jetzt endlich Cragside und Wallington gesehen, oben in Northumbria (ich weiß, Ihr habt keine Ahnung wovon ich rede). Wir fuhren dort wegen einem Job hoch, und ich konnte dabei zum ersten Mal Pauls frühere Arbeitsstelle sehen. Das ist eine wunderschöne Gegend. Hügelig und felsig, wie ein Gebirge oberhalb der Baumgrenze, schroffe Wiesen voller Schafe und ihren Lämmern und vielen kleinen Bächen mit Brücken darüber. An Wallington sind wir direkt vorbei gefahren, Cragside haben wir nur von weitem gesehen. Beides sind alte Herrenhäuser oder Schlösschen mit weiten Ländereien drum herum. Gärten und Wege und schroffe Wiesen voller Schafe und ihren Lämmern und vielen kleinen Bächen mit Brücken darüber. Voller freundlicher Besucher, die die Arbeit des Trusts unterstützen, nichts stehlen, keine Feuer legen, keine Schilder oder Autos kaputt schlagen, die Mitarbeiter nicht beleidigen, keinen Müll wegwerfen, ihre Hunde nicht auf seltene Vögel hetzen, die Zäune nicht absägen...
Hasen, Lämmer, Osterglocken
Dem NT (National Trust) gehören dort ganze Dörfer mit netten restaurierten Bauernhäusern, wo seine Mitarbeiter ein paar Tiere wohnen. Als wir so die Trockensteinmauern der Felder entlang gefahren sind fragte sich Paul die ganze Zeit, wieso er dort (freiwillig!) verschwunden ist, um dann auch noch nach Easington Colliery zu gehen. Und ich habe ihn die ganze Zeit ausgelacht, weil er dort verschwunden ist, um dann auch noch nach Easington Colliery zu gehen. Jedenfalls will ich dort auch mal hin. Alnwick ist ganz in der Nähe und soll ja ebenfalls sehr schön sein. Leider sind die Zugverbindungen ziemlich schlecht, aber da wird sich irgendwas machen lassen. Was besonders nett war: im Moment ist ja gerade Lämmerzeit und so waren dort oben die Felder voll mit kleinen Schafen neben ihren Müttern, hunderte. Und dazu laufen Dutzende kleine und große Hasen über die selten benutzten Landstrassen und wetzen zwischen den Osterglocken auf den Wiesen in ihre Löcher, wenn wir im Landrover vorbeifahren.
Vor ein paar Tagen hab ich übrigens zum ersten Mal unsere Lämmer hier mit der Flasche gefüttert, wie es Mareen damals jeden Tag mit Sheila und den Ziegen gemacht hat. Das war auch äußerst nett :-) Genauso, wie jeden Tag ihr helles, dürres Mähen zwischen den Rufen der Kühe und der beiden Hunde aus dem Stall zu hören.
Gelungener Tag I: Kino mit Joanna
Gestern war mal ein ganz besonders schöner Tag, in dem alles so war, wie ich es hier immer wollte. (Jetzt mal abgesehen von Angelique, der gut aussehenden französischen Partnerfreiwilligen auf der Farm). Den Nachmittag hatte ich mir frei genommen, was zusammen mit College am Vormittag quasi einen freien Tag ergab. Der Plan war, mit Hanni abends nach Hartlepool ins Kino zu fahren, wozu ich dann auch die Polinnen eingeladen hatte.
Im Endeffekt bin ich dann mittags nur mit Joanna nach Sunderland um dort „The Ring 2“ zu gucken, was ganz nebenbei überraschend gut war. Zwar waren wir eben nur zu zweit, hatten aber den gesamten Kinosaal für uns. Außerdem sahen wir uns ein indisches Restaurant an, in das uns Joanna nächste Woche alle einladen will, weil sie irgendeinen Kurs erfolgreich abschließen wird. Das wird bestimmt nett, vor allem, weil der Laden auch eine Karaoke-Ecke hat und Joanna wahrscheinlich vor lauter Singen kaum zum Essen kommen wird. Das werd ich aber mit Sicherheit ausgleichen.
Apropos Musik: Radio 1 wird Anfang Mai ein großes Festival in Sunderland veranstalten, einige Gruppen sind sogar ganz brauchbar, bloß die Ticketpreise will ich gar nicht wissen. Und ich glaub Ende April ist in Newcastle das GREEN Festival, worum auch immer es dort geht.
Gelungener Tag II: Essen mit Hanni
Gegen vier sind wir wieder zurück gefahren, das heißt Joanna nach Seaham nach Hause und ich nach Peterlee, wo ich mich halb sechs mit Hanni traf. Mit der bin ich dann doch noch nach Hartlepool. Schließlich komme ich so selten ins Kino, da kann ich das auch zweimal am Tag machen.
Dazu ist es dann aber nicht gekommen, weil wir erst nur die Marina entlang spaziert sind und danach zum Dinner in ein sogar recht seriöses Restaurant gegangen sind, wo wir zu lange blieben, um noch einen Film vor dem letzten Bus zu sehen. Hanni wollte das zuerst nicht einsehen, und so wanderten wir erst eine Weile mehr oder weniger sinnlos die Marina entlang, bevor sie vor meiner überlegenen Logik kapitulieren musste und wir in diesen Pub zurückkehrten. Dort haben wir noch eine Stunde sehr nett gesessen, bis wir wirklich gehen mussten, um unsere Busse zu kriegen.
Während sie also nach Wheatley Hill verschwunden ist, habe ich angenehmerweise sogar noch einen Bus gefunden, der um halb elf noch durch Easington Colliery fuhr. Für den konnte ich zwar mein Tagesticket nicht benutzen, aber es hat mir sowohl Taxigeld für den Weg von Peterlee, als auch eine halbe Stunde laufen vom Village zur Colliery erspart.
Furchtbarer Tag I und kein Ende
Das war ausgesprochen angenehm, ganz im Gegensatz zum folgenden Tag. Heute haben wir im konstanten Regen gearbeitet. Und obwohl wir relativ früh Feierabend machten, waren wir bereits vollkommen durchgeweicht. Und es ist kein Ende in Sicht. Der Wetterbericht zeigt durchgehend Regen an, sodass ich meine Pläne für ein Wochenende in York oder Yorkshire auf Eis legen kann. Da wollt ich eigentlich mit Hanni hin, aber ich hab ja gerade erlebt wie viel die Ecke ohne Sonnenschein wert ist. Globale Erwärmung? Schön wär’s ja. Mein Gott ich könnte in einem netten kleinen Projekt irgendwo in Italien oder Spanien sitzen und mit Angelique den Sonnenuntergang genießen.
So fahr ich Hanni Samstag wieder selbst besuchen und werd Sonntag mit ihr zu so einem Jehovas-Zeugen-Treffen mitkommen, um mir auch so etwas einmal anzusehen. Mir ist die Truppe ja immer noch nicht ganz geheuer; hoffentlich versucht mir da keiner, eine von diesen bunten Broschüren zu geben, so etwas kann ich gar nicht leiden.
Ansonsten muss ich am Wochenende mein mündliches Examen in Französisch vorbereiten, namentlich die Präsentation als ersten Teil davon.
Die Qual der Wahl
In meiner Sympathiewertung nicht viel besser gestellt ist der derzeitige Wahlkampf, denn in vier Wochen sind Parlamentswahlen. Vor ein paar Monaten war hier schon eine Wahl für oder gegen ein eigenes Parlament im Norden. Was nicht zustande kam, aber jeden Haushalt mit genug Hochglanzpapier versorgt hat, um sämtliche Klopapierhersteller in den Ruin zu treiben.
Tja, und ich schätze mal, jetzt geht’s dem restlichen Regenwald an den Kragen. Dazu jeden Abend stundenlange Sonderreportagen, um die Inhalte zu analysieren, die die Leute mit den schicken Anzügen nicht gebracht haben. Und das alles nur, um uns mit vielen Bildern von grinsenden Politikern mit weniger Charakter als Angie zu versorgen. Der einzige mit etwas mehr Ausstrahlung als, sagen wir mal, der gemeine Hausstaub, ist der Tony. Dagegen wirkt dieser Michael Howard wie ein Esel vor einer Betonwand. Jedenfalls freut sich jeder: Hurra, endlich wieder Wahlen!
Ihr könnt Euch auch freuen, denn ich bin so gut wie fertig. Ich kann kaum glauben, was sich hier gerade anbahnt. Uns wurde tatsächlich angeboten, einige Tage in einem Hotel zu bleiben, weil auch nach vier Wochen keiner absehen kann, wann wir hier wieder heizen und waschen können. Nicht, dass wir das ernsthaft in Betracht ziehen. Aber das es wirklich soweit kommt... Wer weiß, eventuell wird mir Rebekka irgendwann schreiben, dass der Boiler jetzt repariert ist. Vielleicht hat es bis dahin auch aufgehört zu regnen.