Eine runde Sache
Eigentlich wollte sie nur irgendetwas anderes tun als Lehramt zu studieren. Dann kam Stefanie Schulte (28) unerwartet mit dem Europäischen Freiwilligendienst ins Organisationskomitee der Fußball-WM 1998 in Frankreich. Heute bereitet sie die WM 2006 vor – und koordiniert in ihrem Team 15.000 freiwillige Helfer.
Wenn im Juni der Anpfiff zur Eröffnung der Fußball-WM 2006 durch das Münchener Stadion schrillt, dann wird für Stefanie Schulte wahrscheinlich eine Zeit der Déjà-Vus anbrechen. Die 28-Jährige organisiert bei der Fifa den Einsatz der Volunteers, tausender fußballbegeisterter Jugendlicher, die ehrenamtlich an Ort und Stelle helfen werden, damit bei der Weltmeisterschaft alles rund läuft. Ein Projekt mit gigantischem logistischen Aufwand - doch Stefanie Schulte weiß, was auf sie zukommt, denn sie hat schon einmal die dunkelblauen Kostüme des WM-Protokolls getragen: als Europäische Freiwillige bei der Fußball-WM 1998 in Frankreich.
Sie hatte ihre Bewerbung zum Europäischen Freiwilligendienst beinahe vergessen, studierte unzufrieden auf Lehramt in Düsseldorf als dieses Schreiben im Briefkasten landete. Stefanie las und staunte: Sie war eingeladen nach Nantes in der Bretagne, um als Freiwillige die Fußball-WM mit vorzubereiten. Ein Glücksfall, findet Stefanie Schulte heute. Denn das halbe Jahr, das sie in Nantes verbringen würde, sollte ihrem Leben eine neue Richtung geben – und einen Job bei der Fifa. Schon beeindruckend: Die Etappen in ihrem Lebenslauf greifen ineinander wie gut geölte Zahnräder.
Das Organisationstalent entdeckt
Das erste Zahnrad drehte sich im Frühjahr 1998 als Stefanie an der Tür der WM-Organisatoren in Nantes klopfte. Sie wusste nicht im Geringsten, was sie erwartete: „Der Europäische Freiwilligendienst war damals ja noch in der Pilotphase, es war noch sehr viel Abenteuer dabei.“ Immerhin, Stefanie hatte Bekannte in Nantes von einem Frankreichaufenthalt in der Schulzeit, kannte andere Freiwillige aus dem Vorbereitungskurs und die Sprache beherrschte sie auch schon.
Darum band ihre Aufnahmeorganisation sie von Beginn an voll in die Arbeit ein. Stefanies Team bereitete den Einsatz von 1000 Volunteers am Spielort in Nantes vor: Junge Helfer, die im Stadion die Plätze zuweisen, die Zuschauermassen hinein- und herausschleusen, Fragen beantworten oder Ehrengäste begleiten. Stefanie half bei der Einsatzplanung, schrieb Einladungen, druckte Etiketten, telefonierte, begleitete Delegationen – viel Arbeit, die ihr aber auch viel Freude bereitete.
Auch für die Prominenz auf den Stadionrängen war sie eingeteilt; und so kam es, dass sie mit Placido Domingo unter einem Regenschirm spazierte. „Prinz Felipe von Spanien war auch da, und ich dachte, dass das meine große Chance sei – schließlich hat Königin Silvia von Schweden ihren Karl Gustav auch als Hostess bei den Olympischen Spielen kennen gelernt,“ scherzt Stefanie vergnügt.
Mit der Prinzenhochzeit wurde es nichts für Stefanie, dafür hatte sie vieles gelernt; vor allem, dass Projektarbeit und Organisation ihre Stärken waren. Nun war auch die Studienwahl kein Problem mehr. Schon in Nantes entschied sie sich für ein BWL-Studium in Mannheim, kombiniert mit dem Studiengang „interkulturelle Qualifikation“. Und wieder war ein Zahnrad eingerastet.
Von der Uni direkt zur Fifa
Einige Semester lang blieb Stefanie in Mannheim, und Frankreich wie der Fußball waren Vergangenheit. Als sie über ein Auslandsstudium nachdachte, holte sie die Vergangenheit ein: Sie entschied sich wieder für Frankreich, lebte ein Jahr lang in Paris. Erneut ergab sich eine glückliche Fügung: Zufällig war gerade ein Sportmarketing-Lehrstuhl in Paris gegründet worden, das traf genau Stefanies Interessen. Sie schrieb sich ein und hatte ihren Studienschwerpunkt gefunden. Klick, das nächste Zahnrad.
Zurück in Deutschland machte sich Stefanie bald daran, ihre Diplomarbeit zu schreiben. „Ich hörte von den Vorbereitungen zur WM 2006 und dachte: Da will ich hin! Dann habe ich mir das Hirn darüber zermartert, wie ich beim Organisationskomitee meine Diplomarbeit schreiben könnte.“ Ein Anruf und eine Bewerbung genügten, und einige Monate lang beschäftige sich Stefanie mit einem Thema, das sie schon aus ihrem Freiwilligendienst kannte: „Personalwirtschaftliche Herausforderungen beim Einsatz freiwilliger Helfer am Beispiel der Fußball-WM 2006.“
Die Diplomarbeit schärfte nicht nur ihr fachliches Profil, sondern öffnete ihr, klick, gleich einen steilen Karrierepfad: Das Organisationskomitee stellte Stefanie als Referentin im Volunteer-Programm ein. Seit zwei Jahren ist sie in Frankfurt am Main in einem Team von zehn Mitarbeitern mit dem beschäftigt, was sie acht Jahre zuvor beim Freiwilligendienst in Frankreich ganz praktisch erfahren hatte.
„Haben schon in der WG Europa gespielt“
Im Nachhinein erscheint es ihr selbst wundervoll, wie nahtlos die Zahnräder in ihrer Biographie ineinander greifen. Zielstrebig sei das alles nicht geschehen: „Die einzelnen Stationen waren ja nicht von Anfang an geplant – und mit Fußball hatte ich vorher nichts am Hut.“
Wie sehr ihr die Erfahrungen aus dem Freiwilligendienst heute helfen, merke sie jeden Tag. So könne sie die Wünsche der freiwilligen Helfer sehr gut einschätzen, weil sie selber einmal in der Lage war. Auch im Umgang mit Menschen habe Nantes sie geschult, „denn da habe ich sehr viele Menschen kennen gelernt, vom Studenten bis zum Top-Manager.“
„Der Europäische Freiwilligendienst ist eine großartige Gelegenheit, etwas ganz Außergewöhnliches zu machen“, sagt Stefanie Schulte im Rückblick, „gerade dann, wenn man nicht weiter weiß und etwas Neues ausprobieren möchte.“ Sie selber sei durch den EFD selbständiger geworden und habe gelernt, ungewohnte Situationen zu meistern – eine Fähigkeit, die besonders nützlich ist, wenn es darum geht, Großprojekte wie den Volunteer-Service zu schultern.
Stefanie ist viel in Europa unterwegs, im Ausland zu arbeiten erscheint ihr ganz selbstverständlich. „Hier hat mir der Freiwilligendienst geholfen“, sagt sie. „In Nantes habe ich in einer WG zusammen mit einer Finnin und einer Spanierin gewohnt – da haben wir schon ein wenig Europa gespielt.“ Natürlich ist ihr auch Frankreich ans Herz gewachsen. „Vor allem wegen der Lebensart. Den Franzosen gelingt es viel besser als den Deutschen, auch die kleinen Momente zu genießen.“
Zur WM im Sommer kommen alte Bekannte aus Nantes zu Besuch. Trotz Hochbetrieb wird Stefanie dann auch den einen oder anderen Blick aufs Spielfeld werfen. Bei aller Liebe zu Frankreich – die Daumen drückt sie der deutschen Elf. „Die Franzosen, die werfen wir im Viertelfinale raus“, sagt sie schelmisch. Und nach der WM? „Eigentlich hatte ich auf die WM 2010 in Frankreich gehofft“, lacht Stefanie, „aber daraus wird ja nichts.“ Vielleicht wäre das ja auch ein Déjà-Vu zu viel.