Eine Busfahrt, die ist lustig
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er viel erleben. So wie CubaLibre, der sich per Bus von Nordspanien nach Portugal, genauer Lissabon, aufgemacht hat. Seine Strecke: Oviedo – Cordillera Cantabrica – Museta – León – Benavente – Zamora – Salamanca – Caceres – Badajoz – Lisboa.
Aufgrund eines verlängerten Wochenendes ergeben sich für mich fünf Tage, die ich prima für einen kurzen Ausflug in eine südlichere Region der iberischen Halbinsel nutzen kann und werde. So packe ich mal wieder meine Kraxe, schnüre die Wanderschuhe und mache mich nicht auf Schusters Rappen, sondern auf des Busfahrers Gummireifen auf den Weg. Reisen mit dem Bus ist in Spanien die effektivste Methode, um von A nach B zu gelangen. Es existiert ein gutes Netz von Verbindungen und ebenso eine Vielzahl verschiedener Busunternehmen.
Ich starte also mit ALSA in Oviedo, der asturischen Hauptstadt und auf mich warten einige Stunden on tour, bevor ich das Ziel meiner Reise, die portugiesische Hauptstadt Lissabon, erreichen soll. Asturien präsentiert sich, wie meist, Wolken verhangen. Erst als der Bus sich auf der Autovista de la Plata durch die Hochlagen der Cordillera Cantabrica (Gebirgskette im Norden Spaniens, parallel zur Küste verlaufend) schlängelt, reißt der Himmel auf und lässt die schneebedeckten Bergkuppen im hellen Sonnenlicht aufleuchten. Einmal mehr erweist sich diese Gebirgskette als Ursache für das von Restspanien so verschiedene Wetter in España Verde (Grünes Spanien): aus dichter Schichtbewölkung werden ruckzuck Schönwetterwolken bzw. sie lösen sich ganz auf.
Nun eröffnet sich mir die Weite der spanischen Meseta. Beim Blick aus dem Fenster habe ich ein wenig das Gefühl, ich führe irgendwo durch die Prärie in den Vereinigten Staaten und am Horizont erstreckten sich die weiß leuchtenden Gebirgskuppen der Rockys. Die Hochebene selbst erscheint größtenteils ockerfarben (wo meine Augen doch so an das Grün Asturiens gewöhnt sind) und ist so glatt, dass ich behaupten möchte das Thüringer Becken sei im Vergleich dazu regelrecht hügelig!!!
Der Bus hält kurz in León, um noch ein paar Mitreisende aufzunehmen, bevor er diese wunderschöne Stadt wieder gen Süden verlässt. Gerade erblicke ich einen Industriekomplex, der eine Dunstwolke in Form einer Ente in den blauen Himmel bläst. Mit ein wenig Phantasie kann sich mensch auch die hässlichste Erscheinung schön denken.
Im Großen und Ganzen wirkt die Landschaft auf mich ein wenig trostlos. Nur selten entdecke ich einen frischen grünen Trieb, geschweige denn einen Baum, der noch Blätter trägt. Ich weiß, ich weiß, wir haben Dezember und da ist das ganz normal. Aber in Asturien tragen die meisten Bäume ihr buntes Blätterkleid noch, wohingegen hier mensch sich leicht vorstellen kann, wie im Sommer und Herbst die Sonne vom Himmel herunterbrennt und die Erde versengt, so dass nur trockene, graubraune Grashalme verbleiben.
Wir passieren gerade Benavente, der Bus hält an der Estación und einige Leute steigen aus, was das Busklima ein wenig erträglicher werden lässt. Benavente selbst ist eine typische Stadt in Castilla y León, die sich flach in der Ebene erstreckt und die schnurgerade Straßen durchkreuzen, unterbrochen nur von gelegentlich auftretenden Kreisverkehren.
Im Bus läuft ein Spielfilm, den Titel muss ich irgendwie verschlafen haben. Das macht mir allerdings wenig aus, da ich sowieso keine Kopfhörer habe, um den Ton, der aus dem Sitz meines Vordermannes kommt, für mich zugänglich zu machen. Dafür komme ich in den Genuss anderer Unterhaltung. Ein mittelalter Señor schräg vor mir ergötzt sich an Flamencoklängen und ähnlich typisch spanischen Musikgenüssen. Zwar über Kopfhörer, dennoch laut genug, dass es der hinteren Bushälfte nicht schwer fällt, die Songtexte zu verstehen. Doch damit nicht genug. Er scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, uns ein wenig zu unterhalten, denn in schöner Regelmäßigkeit singt er den Refrain bzw. Textpassagen mit oder klopft rhythmisch im Takt auf seinen Schenkeln. Erscheint mir ein wenig kauzig, kann aber auch daran liegen, dass mir derartiges in einem deutschen öffentlichen Fortbewegungsmittel noch nicht passiert ist (von betrunkenen Fußballfans im Zug mal abgesehen).
Nanu, was geschieht jetzt? Je weiter die Fahrt gen Süden geht, desto mehr versteckt sich die Sonne hinter einem Wolkenvorhang, erst nur leicht, später stärker. Sollte ich vielleicht doch eine Fehlentscheidung getroffen haben, als ich dem Südwesten der iberischen Halbinsel für mein verlängertes Wochenende den Vorzug vor dem Nordosten gab?
Bienvenido a Zamora, dem nächsten Etappenziel meiner Busfahrt gen Süden, dreieinhalb Stunden nach unserer Abfahrt aus Oviedo. Bevor ich allerdings das eigentliche Ortsschild zu sehen bekomme, sticht mir ein großer Buchstabe ins Auge, der einen scheinbar überallhin zu verfolgen scheint: das gelbe M einer leider allzu bekannten multinationalen Fast-Food-Kette. Hier in Zamora bekommen wir die Möglichkeit, uns für 15 Minuten ein wenig die Beine zu vertreten. Beim Wiedereinsteigen höre ich plötzlich Personen sich auf Deutsch unterhalten. Es sind Tina und Susanne, zwei Erasmusstudentinnen, welche die freien Tage nutzen, um sich gegenseitig zu besuchen. Außerdem stelle ich zu meiner großen Freude fest, dass meine Sitznachbarin den Bus verlassen hat und sich damit mein Bewegungsspielraum für den Rest der Fahrt (immerhin noch 6h) verdoppelt hat.
Draußen neigt sich der Tag langsam dem Ende entgegen, die Sonne lugt durch vereinzelte Lücken einer ausgefransten Wolkendecke hervor, lässt die erdfarbenen Felder in einem goldfarbenen Ton erleuchten und zaubert einen Hauch von Abendrot an den Horizont. Und wie auf ein Signal erblicke ich plötzlich Bäume, mal vereinzelt, mal in kleinen Wäldchen, die ihr Blätterkleid noch nicht abgeworfen haben (ich bin kein Botaniker, aber es könnten durchaus auch einige immergrüne Arten darunter sein ;-))
Im Halbdunkel erreicht der Bus Salamanca, diese traditionsreiche Studentenstadt mit einer eindrucksvollen Kathedrale, welche die Stadt überragt. Die „Stimmungskanone“ des Busses, kurz vorher erst noch durch ein lautstarkes, auf portugiesisch geführtes Telefongespräch ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, wechselt seinen Platz etwas mehr zur Busmitte hin, was mir hier hinten etwas Ruhe verschafft. Jetzt ist er gerade dabei, zwei in Salamanca zugestiegene Skandinavierinnen mit seinen Gesangskünsten und Rhythmusgefühl zu beeindrucken.
Und weiter geht die Fahrt gen Süden, der nächste Videofilm läuft im Bordfernsehen und mir geht langsam das Licht zum Schreiben aus. Dann bin ich wohl gezwungen, mir im Nachhinein die Stunden der Dunkelheit nochmals in Gedächtnis zurückzurufen.
Gedacht, getan. Im südlichen Teil von Castilla y León verändert sich die Struktur der Landschaft ein wenig, die Ebene hört auf und es geht zur Abwechslung mal wieder ein wenig bergauf und bergab. Ebenso verändert sich die Struktur der Stadtanlagen, Bejar zum Beispiel liegt auf mehreren Hügeln und ist von einer imposanten Wallanlage umgeben. Alte Mauern, bei Nacht angestrahlt, besitzen irgendetwas geheimnisvoll Furchteinflößendes.
Gerade verlassen wir Kastilien und überfahren die Grenze nach Extremadura, eine der ärmsten spanischen Comunidades. Pünktlich in diesem Augenblick reißt die Wolkendecke auf und gibt den Blick auf einen funkelnden Sternenhimmel frei, der mir das Licht liefert, um mir ein eigenes Bild von diesem Landstrich machen zu können. Das Sternbild des Orion steht majestätisch am Himmel, doch kaum beachtet, da der Fernsehbildschirm immer noch die nahezu uneingeschränkte Aufmerksamkeit besitzt. Außerdem scheint der „Busunterhalter“ eingeschlafen zu sein, da eine angenehme Ruhe herrscht. Einzig und allein das Brummen des Motors ist zu hören, von gelegentlichem Handyklingeln mal abgesehen. Doch mit dieser Geißel der Menschheit scheint sich mensch schon weitestgehend abgefunden zu haben.
So schnell, wie die Sterne erschienen sind, verschwinden sie auch wieder. Zu allem Überfluss, ich wage meinen Augen kaum zu trauen, beginnt es auch noch zu regnen. Ungeheuerlich. Da versuche ich, dem regenreichen Norden Spaniens zu entfliehen und was passiert? Ausgerechnet im eigentlich trockensten Gebiet der iberischen Halbinsel überrascht einen der Regenguss. Zwar nicht stark, doch immerhin Wasser von oben. Und ausgerechnet jetzt, wo hier in Caceres ein 25-minütiger Zwischenstopp ansteht. Egal, erstens verlangen die Beine nach Auslauf und zweitens ist mensch nicht aus Zucker.
Die Überraschung ereilt mich beim Wiedereinsteigen. Für die letzte Etappe nach Badajoz ist der Bus zu wechseln, jedoch nur von denen, die eben nicht nach Sevilla wollen, insgesamt vier Personen, mich eingerechnet. Unter anderem auch mein spezieller Freund, der „Alleinunterhalter“. Dieser sorgt dann auch gleich erst mal für Aufregung, da er Jacke und Handgepäck im ersten Bus vergessen hat. Ein kurzer Anruf, das Treffen ist arrangiert, da der andere Bus kurz wartet. Die Sachen werden geholt und alles ist im Lot. Der neue Bus stellt sich im Übrigen als ein ganzes Stück komfortabler heraus, und das nicht nur aufgrund der wenigen Passagiere.
Jetzt sitze ich hier in Badajoz im Stadtzentrum, die Kirchturmuhr schlägt Mitternacht, alles ist weihnachtlich geschmückt und erleuchtet, ich bin fast kein bisschen müde und habe noch vier Stunden Zeit, bis der Bus nach Lisboa abfährt.
Kurzerhand unternehme ich mutterseelenallein in den ersten Morgenstunden eine Sightseeing-Tour in Badajoz (eine wirklich schmutzige Stadt) und schlafe dann doch noch ein Stündchen auf einer Bank im Busbahnhof. Mehr oder weniger unsanft weckt mich ein Herr vom Reinigungspersonal, der um 3.00 Uhr morgens gern den Teil der Halle säubern möchte, in dem ich mich aufhalte. Also Umzug, ein paar Seiten lesen und dann endlich um kurz nach 4.00 Uhr besteige ich den Bus, der mich zu meinem Ziel führen wird, der Hauptstadt Portugals.
Nach abermaligen drei Stunden Fahrt gelange ich in Lisboa an, am Bahnhof Oriente im neueren Teil der Stadt, welcher 1998 die letzte EXPO des Millenniums beherbergten durfte, und da es 7.00 Uhr morgens ist und ich keinen blassen Dunst habe, in welche Richtung ich mich bewegen soll, setze ich mich ans Ufer des Tejo und genieße das Erwachen eines neuen Tages in Form eines phantastischen Sonnenaufgangs – bereit, Lisboa für mich zu entdecken...