Ein Herz für Polen
Heute kann es regnen, stürmen oder schneien...
Nein, niemand hatte Geburtstag, aber so könnte der Wetterbericht für Trzebiel gerade aussehen. In Polen macht das jedoch keinem was aus, man sammelt Spenden, veranstaltet Lagerfeuer und verflucht stattdessen lieber das Schulsystem.
Am Wochenende war Krzysztof mal wieder zu Besuch. Bei dem Wetter haben wir nicht viel gemacht, sind aber eines Abends mit den Mädels ins Pub gegangen, wo uns doch tatsächlich ein Radler verweigert wurde. Trotzdem war es nett, verpasst haben wir da aber bisher doch eher wenig. Sonntag war das Finale des Wielka Orkiestra Świątecznej Pomocy, eine riesige Aktion, bei der vor allem für Kinder und Senioren in Krankenhäusern gespendet wird. Da bewundere ich Polen wirklich - jeder hat richtig Einsatz gezeigt und es sind ganz schöne Summen zusammengekommen, allein in Trzebiel 17.000 Złoty. Den ganzen Tag sind junge Menschen durch die Straßen gelaufen und haben Spenden gesammelt, als Dank hat man dann einen herzförmigen Sticker bekommen. In Trzebiel fand zu diesem Anlass eine Kombination von Konzerten und Auktionen statt, dazu wurde Kuchen und Bigos verkauft und die Kleinen durften Plätzchen verzieren, Armbänder basteln und zum Kinderschminken. Ich hab dazu meine beiden Mädchen mitgeschleppt, die auch fleißig mitgeholfen haben, vor allem, als es ums Aufräumen ging. Inzwischen kenne ich bei so etwas immer mehr Leute, so haben die Zwölfjährigen und ich mal wieder den Ansatz einer Unterhaltung geführt. Netterweise habe ich am nächsten Tag als Ausgleich direkt freibekommen und ihr wisst ja, unerwarteter Urlaub ist der Beste.
Donnerstag, an meinem langen Trzebieltag, hat es mächtig gestürmt, aber davon muss ich euch in Deutschland ja nichts erzählen. Gemütlich war es trotzdem, erst mit Teelichtern im Unterricht und dann mit Ewa und Kornelia in der Pizzeria. Ich hab eine weitere Trzebielerin kennengelernt, die mich anfangs für eine Dreizehnjährige hielt (vielen Dank auch) und schließlich einen Karaokeabend mit uns veranstalten wollte. Mal gucken, ob wir da jetzt öfter zusammen hingehen, gut für mein Polnisch ist es auf alle Fälle. Was ist sonst noch passiert? Ihr wisst ja, dass ich Anfang Oktober mal mit einer Deutschlehrerin in der Schule war und das eigentlich eine monatliche Sache werden sollte. Na ja, heute war es wieder soweit, diesmal tatsächlich mit der Lehrerin (die war beim letzten Mal verhindert und ich war bei einer Vertretung). Meine Aufgabe war einfach, mit den Schülern zu sprechen, ihnen Fragen über sich zu stellen und selbst Fragen zu beantworten. Ich muss sagen, es hat richtig Spaß gemacht! Auch wenn sie mich zuerst mit der Ansage "wir haben die erste Stunde in einer Schule für schwer erziehbare Jugendliche, wegen Drogen und so, die sind da, damit sie nicht ins Gefängnis müssen und eigentlich besteht der Unterricht hauptsächlich darin, dass ich sie davon abhalte, sich zu prügeln" doch minimal verunsichert hat, war es letztendlich doch kein Problem.
Klar waren so gut wie keine Deutschkenntnisse vorhanden und das Engagement war auch nicht so sehr gegeben, aber sie waren ruhig, friedlich und scheinbar ganz normale Jugendliche, die auch alle vernünftige Jobs haben. Die Lehrerin hat alles übersetzt und so konnten wir uns einigermaßen unterhalten. Sie wollten sogar, dass ich wiederkomme, aber nur zu ihnen, nicht zu den anderen Klassen. Welche Ehre! Der Unterricht in den anderen Klassen hat auch viel Spaß gemacht, vor allem bei den Abiturienten. Natürlich etwas komisch, wenn ich da als siebzehnjähriger Knirps vor Leuten stehe, die bis zu fünf Jahre älter sind, aber das hat eigentlich kaum eine Rolle gespielt. Einige konnten ziemlich gut Deutsch, wobei das Redevermögen wohl auch sehr vom Selbstbewusstsein abhängt. Ein Junge war sogar ganz schön hartnäckig ("Hast du einen Freund?" "Bei Facebook steht aber nicht, dass du einen Freund hast" "Sieht dein Freund besser aus als ich?") und ich wurde zu einem Lagerfeuer eingeladen. Natürlich musste viel übersetzt werden, aber die meisten waren auf jeden Fall gut dabei.
Bei den Jüngeren war das schon schwieriger, was einmal an der großen Klasse, aber wohl auch einfach am Alter lag. Da sind Jugendliche, die seit einigen Monaten Deutsch lernen zusammen mit denen, die das seit sechs Jahren tun. Ein Mädchen hat sogar die letzten Jahre in Bayern gelebt und spricht natürlich super. Da allen gerecht zu werden, ist einfach unmöglich und die Lehrer sind sehr unzufrieden mit der Situation. Die Deutschlehrer sagen, der Deutschunterricht werde zugunsten von Englisch gekürzt, die Englischlehrer meinen, dass durch Mathe ihre Stunden gestrichen werden. An anderen Schulen scheint es aber ähnlich zu sein: Als ich hörte, dass ein Junge sechs Jahre lang Französisch gelernt hat, fragte ich ihn begeistert wirklich einfache Sachen ("Est-ce que tu préfères le Français ou l'Allemand?") und er sah mich nur verständnislos an. Insgesamt herrscht ein anderes Klima, jeder ist ständig am Handy, läuft durch die Klasse und verlässt je nach Lust und Laune den Unterricht, wenn er denn überhaupt erscheint - eine Klasse bestand scheinbar aus 25 Schülern, anwesend waren 9. Wer sich da zum Beispiel die neuen Handyregeln am Mariengymnasium anguckt (entschuldigt, Leute, aber das ist doch ein Witz), merkt, dass es für die Lehrer bei uns einfach traumhaft gewesen sein muss. Krzysztof meint, in Polen dürften die Lehrer den Schülern ihre Handys überhaupt nicht wegnehmen, das würde als Diebstahl gelten. So anders kann es sein.
Aber ich will jetzt wirklich nicht nur mosern, wie schon gesagt, hat es mir sehr gut gefallen. Auch die Stunde beim Englischlehrer war wieder klasse, diesmal musste ich quasi nichts machen, die Schüler haben Vorträge über die Geschichte und wichtige Gebäude Żarys gehalten, hauptsächlich wohl für mich, was eine wirklich süße Idee war, ich habe auf jeden Fall viel gelernt. Außerdem hab ich ein verspätetes Weihnachtsgeschenk bekommen! Einen Kalender (nachdem Basia uns am Sonntag einen geschenkt hat... total lieb von beiden, aber falls das einer liest, der uns in nächster Zeit einen Kalender schenken will, wir haben erstmal ausgesorgt), eine DVD über Żary und zwei Stadtpläne, einen aktuellen und einen von der damals deutschen Stadt Sorau aus dem Jahr 1933. Wirklich interessant, ich muss das nochmal genau vergleichen. Vor 75 Jahren hätten wir zum Beispiel in der Petristraße gewohnt... abgesehen davon, dass wir da natürlich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gewohnt hätten. Gerade bin ich übrigens unterwegs nach Krakau. Krzysztof hat morgen Studniówka, der Abiball, der in Polen dummerweise schon vor dem Abi und auch noch im tiefsten Winter stattfindet. Und ich bin eingeladen! Nächstes Mal berichte ich euch also von meinen Disco Polo- und Polonaise-Erlebnissen. Das ist übrigens ein richtiger Tanz mit Partner und Walzerschritt, nicht der Blödsinn von deutschen Karnevalspartys. Drückt mir die Daumen, dass ich das hinbekomme. Ein wunderbares Wochenende wünsche ich euch!