Ein gelungener Abschied
Auf Wiedersehen Heimat.
Blauer Himmel, wolkenlos. Die Sonne brennt auf das sommerliche Deutschland herab. Ein perfekter Tag für einen Abschied. Doch warum bedarf es diesem schönen Wetter? Weil mein Abschied von der Heimat kein gewöhnlicher sein wird. Statt ein peinliches letztes Treffen zu arrangieren, zu welchem sowieso die meisten Gäste urlaubsbedingt absagen müssten, zieht es mich woanders hin. Mein Abflug aus der Heimat wird durch das tatsächliche Abheben besiegelt. Mein Nachbar ist nämlich so freundlich und bietet meinem Bruder und mir völlig unerwartet den Mitflug in seiner Propellermaschine an. Noch einmal das eigene Dorf von oben betrachten, die majestätischen Kaiserberge überfliegen, während die Gedanken schon in Náchod kreisen und das Sportflugzeug seine Kreise über dem Ostalbkreis zieht.
Am frühen Nachmittag machen wir uns auf zum Flugplatz ins nahe gelegene Heubach. Der Platz ist an diesem Tag gut besucht. Mehrere Flugenthusiasten haben sich versammelt und ihre Schätze in einer Reihe aufgestellt. Manch einer tankt, manch einer lässt den jährlich fälligen Funkcheck durchführen.
Das blitzblank polierte Flugzeug glänzt in der Sonne. Wir begrüßen den Piloten, unseren Nachbarn, und reden ein bisschen über die Grundlagen beim Fliegen. Physik, Strömungslehre, da dämmert etwas. Kurze Zeit später sitze ich im Cockpit der zweisitzigen High-Performance-Maschine. Dieser Begriff bedeutet unter anderem, dass das Flugzeug über ein einziehbares Fahrwerk verfügt, was den Luftwiderstand verringert, sodass höhere Fluggeschwindigkeiten möglich sind. Vor mir offenbart sich eine Wand voller Anzeigen, Schalter und Hebel. Nach und nach erklärt mir mein Nachbar den Sinn hinter jeder noch so kleinen Apparatur. Da gibt es den Transponder, den Drehzahlmesser für Motor und Propeller, die Zylinderkopftemperaturanzeige, die Druckanzeige für den Turbolader, die digitale Flugkarte und selbstverständlich den Kompass sowie den Höhenmesser. Als die obligatorische Checkliste durchgegangen ist, starten wir den Motor und schließen die Haube. Per Funk-Headset bitten wir den Tower um die Starterlaubnis, welche uns selbstverständlich erteilt wird. Wir können langsam Richtung Startbahn rollen. An der Haltelinie angekommen, gehen wir nochmal alle wichtigen Punkte durch und lassen den Motor mit hoher Drehzahl laufen, um zu überprüfen, ob mit ihm auch alles in Ordnung ist. Als dies sichergestellt ist, bekommen wir die finale Bestätigung vom Tower, dass wir jetzt starten können. Zuerst fahren wir nach rechts auf die Startbahn und drehen an deren Ende einmal herum. Vor uns liegt jetzt die komplette Startbahn. Wir geben Vollgas. Der Motor heult auf und uns drückt es in den Sitz. Immer schneller geht es nach vorne, bis wir schließlich abheben. Das Gerüttel der Startpiste verschwindet. Wir fliegen.
Man sieht Bargau, mein Heimatdorf, wie es immer kleiner wird. Eine Linkskurve und schon haben wir die drei Kaiserberge vor uns. Stuifen, Rechberg und Hohenstaufen in ihrer vollen Pracht. Wir drehen ab und fliegen weiter Richtung Aalen. Hier sehen wir ab und zu noch andere Flieger, die an diesem schönen Tag die gleiche Idee hatten.
Es ist gar nicht so leicht, aus dieser ungewohnten Perspektive sofort alle Städte zu erkennen. Aus der Vogelperspektive sieht alles mehr oder weniger identisch aus. Das auffällige Dach der Firma Zeiss ist dann allerdings ein klares Indiz und zeigt an, dass wir uns in der Nähe von Oberkochen befinden müssen.
Da die unteren Luftmassen heute recht unruhig sind, steigen wir auf 5000 Fuß auf. Dort ist die Luft ruhiger und auch merklich kälter. Wir öffnen ein kleines Fenster, sodass frische und vor allem kühle Luft zu uns ins Cockpit strömen kann. Nachdem wir die 5000 Fuß Flughöhe erreicht haben, erklärt mir mein Nachbar, wie die Steuerung des Flugzeugs funktioniert. Es verfügt über zwei Steuerknüppel und Fußpedale. Damit steuert man sämtliche Ruder des Flugzeugs. Die Geschwindigkeit steuert man, indem man die Motordrehzahl und die Propellerdrehzahl ändert. Ein klassisches Gaspedal gibt es nicht. Unsere Reisegeschwindigkeit beträgt ungefähr 250 km/h. Das hört sich schnell an, tatsächlich fühlt es sich allerdings viel langsamer an, weil die Maschine völlig ruhig in der Luft liegt. Auch die Landschaft unter uns scheint nur ganz langsam weiter zu wandern. Nachdem wir kurz über die Grundlagen der Steuerung gesprochen haben, überlässt mir der Pilot die Steuerung der Maschine. Ich darf ein paar Links- und Rechtskurven fliegen und die Maschine auf Kurs halten. Beim Fliegen von Kurven ist es wichtig, stets darauf zu achten, dass die Nase des Flugzeugs am Horizont bleibt, sagt mir mein Nachbar. Das Gefühl, ein Flugzeug selbst zu fliegen, ist einmalig. Eine kleine Bewegung mit dem Steuerhebel und schon neigt sich das Flugzeug, steigt auf, ab oder fliegt eine Kurve. Man kann viele Manöver ausprobieren, ohne jemanden zu stören. Was jedoch fehlt, sind Anhaltspunkte. Jetzt verstehe ich auch, wozu die ganzen Anzeigen gut sind. Anhand von ihnen kann man sich einigermaßen orientieren. Mit dem Autofahren kann man das allerdings überhaupt nicht vergleichen. In der Luft hat man ja quasi grenzenlose Freiheit, was auch schon Reinhard Mey wusste. Wolken hatte es an diesem Tag zum Glück nicht. Nur in der Ferne sieht man die zwei charakteristischen Dampfwolken eines Atomkraftwerks. In alle vier Himmelsrichtungen haben wir klare Sicht. Bis zum Horizont nur Blau.
So langsam habe ich den Dreh raus und wir nehmen wieder Kurs auf den Flughafen. Auf sein Bauchgefühl sollte man sich dabei lieber nicht verlassen. Stattdessen dient der Kompass zur Navigation. 300 Grad, folglich geht es Richtung Westnordwesten. Auf diesem Kurs halte ich das Flugzeug durch minimale Korrekturen mit dem Steuerknüppel. Die Luftschichten sind zwar ruhiger, aber auch hier, auf 5000 Fuß, kann man kleinere Wirbel nie ganz ausschließen. Nach einiger Zeit sind wir nahe genug am Flughafen, um in den Sinkflug zu gehen. Mein Nachbar übernimmt wieder das Steuer. Er fährt die Landeklappen aus, was uns schon mal merklich abbremst und langsam aber stetig sinken lässt. Die Landschaft wird größer und man erkennt die charakteristischen Fabrikhallen nahe des Flughafens. Beim Tower melden wir unsere Position und bitten um Landeerlaubnis. Die Piste ist frei, daher können wir direkt den Flughafen ansteuern, ohne noch eine Warteschleife drehen zu müssen. Nun müssen wir wieder die Benzinpumpe einschalten und diverse andere Schalter umlegen, um die Maschine auf das Landen vorzubereiten. Auch das Fahrwerk muss nun wieder ausgefahren werden. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen sind, können wir getrost die Landebahn anvisieren. Die ersten Meter der Landebahn schweben wir noch, um dann nach der Hälfte der Bahn federweich zu landen. Alles verläuft ohne Komplikationen. Nun müssen wir nur noch die Landebahn verlassen und wieder zum Hangar zurückkehren. Auf einem der Parkplätze, die es tatsächlich auch für Flugzeuge gibt, kommen wir zum Stehen. Den Motor lassen wir noch fünf Minuten nachlaufen, sodass der Turbo noch optimal mit Öl versorgt werden kann. Der Propeller sorgt außerdem für eine kühlenden Luftzug, was nach dem Flug in sonnigen Höhen eine willkommene Abwechslung ist. Ich bin jedenfalls erst einmal erleichtert, dass alles so gut funktioniert hat. Ich löse den Sicherheitsgurt und steige aus dem Flugzeug heraus. Es war wirklich ein unvergessliches Erlebnis und ein gelungener Abschied von der Heimat. Mit all den neuen Impressionen im Kopf kann ich voller Vorfreude auf mein zukünftiges, jedoch auch nur zeitweiliges Zuhause blicken. Mein Dank gilt meinem Nachbarn und seiner Gattin, die mir diesen Flug ermöglicht haben. Gerade in Hinblick auf die bevorstehende Reise in die Ferne war dieser Rundflug ein perfekter Abschluss.