Egalité? Wohl eher elitär! Das französische Bildungssystem
Obwohl Gleichheit eines der zentralen Prinzipien des französischen Bildungssystems sein sollte, ist die Bildungsmobilität unglaublich gering - Wer nicht auf eine Elite-Uni geht, hat fast schon verloren…
Nur aus Spaß googelte ich mal die normalen Studiengebühren an meiner Erasmus-Universität, der SciencesPo Paris: 10.250 Euro pro Semester. Alleine das Willkommensprogramm von einer Woche würde 400 Euro kosten. Dazu kommen die extrem hohen Lebenshaltungskosten in Paris, Bücher und Studienmaterialien, astronomische Mieten… Wer kann sich das leisten? Diese Frage trieb mich zu einer kleinen Recherche an und zu der Thematik von (fehlender) Bildungsmobilität.
Liest man Biografien über französische Präsidenten, fällt einem auf, dass immer wieder die gleichen Universitäten genannt werden - Zufall? Nicht wirklich. Tatsächlich gibt es drei sogenannte Grande Ecoles in Frankreich, die die zukünftige Eilte in Wirtschaft, Politik und Recht ausbilden. Wer auf eine dieser Unis geht, muss sich wenig Sorgen um seine Zukunft machen, denn sie wird sehr wahrscheinlich in der Chef-Etage stattfinden.
Tatsächlich ist die Aufnahme an einer dieser Universitäten unglaublich schwer, viele Bewerber*innen besuchen zwei bis drei Jahre Vorbereitungsklassen, die erstmal bezahlt werden müssen. Überdurchschnittliche Noten reichen also nicht alleine, um an so eine Elite-Uni zu gelangen, ein gefülltes Portemonnaie ist ebenso von Nöten. Tatsächlich kann jeder französische Studierende eine Uni besuchen, an vielen Unis gibt es keine NCs, ein Abschluss an so einer normalen Uni gilt allerdings in der öffentlichen Wahrnehmung weniger.
Gleichheit ist ein wichtiger Faktor in der französischen Bildungspolitik, dabei werden die Grande Ecoles aber ausgenommen und sich eher auf die staatlichen Universitäten und Schulen konzentriert: So wurden beispielsweise schon 1975 verschiedene Schultypen abgeschafft, und alle Schüler*innen lernen zusammen bis zur 9. Klasse. Danach können sich für einen beruflichen Abschluss oder dem Abitur entscheiden. Doch obwohl dieses Schulsystem versucht, die Kinder möglichst gleich auszubilden und gemeinsam zu erziehen, gibt es gegensätzliche Tendenzen: So werden beispielsweise jedes Jahr Rankings zwischen den Schulen veröffentlicht - Und die Diskrepanzen sind riesig. Abhängig von dem Standort der Schule und der ökonomischen Lage der Eltern unterscheidet sich auch die Qualität der Lehre und die Chancen der Kinder später.
Dabei spricht man häufig von der „Schulischen Landkarte“ in Frankreich: Gemäß des Wohnsitzes müssen Eltern ihre Kinder zu der nächsten Schule schicken, daher segregieren sich die Schulen immer mehr. Wohlhabende Gegenden haben auch gute Schulen, in welchen die Kinder stabile Elternhäuser haben, Französisch fließend sprechen und kein Lehrermangel herrscht. Und auf der anderen Seite die Abgehängten: Die Schulen in sozial schwächeren Gebieten werden zu Sammelbecken für „Problemkinder“, sie müssen häufig noch Integrationsarbeit für Kinder und Eltern leisten und haben weniger Ressourcen zur Verfügung. Die Regierung versucht mit „positiver Diskriminierung“ dagegen zu halten, und versorgt diese Schulen mit extra Lehrkräften und Sozialarbeitern.
Doch das kann das Problem nicht lindern: Nach wie vor ist in Frankreich das schulische Schicksal mit der sozialen Herkunft verbunden. Zu diesem Schluss kommen auch die Pisa-Studien der letzten Jahre: Die Kluft zwischen Schülerinnen und Schülern aus bessergestellen und sozial benachteiligten Schichten ist in Frankreich mit am höchsten - Und das seit Jahren. Auch in Deutschland ist das eine wachsende Tendenz. Auch wenn das deutsche Modell in vielen Punkten durchlässiger ist, ist es dennoch nicht flexibel genug: Man spricht von einem Bildungstrichter, eine Metapher, welche verdeutlich, wie stark aussortiert wird im Bildungssystem. Von hundert Kindern aus Akademikerfamilien fangen 74 an zu studieren, von hundert Nicht-Akademiker-Kindern sind es 21. Und so sortiert es sich immer weiter aus: 10 dieser 100 Akademiker-Kinder absolvieren die Promotion, erreichen also den höchsten Bildungsstand in Deutschland - Von den anderen Kindern ist es noch eins.
Da ich selber aus einem sozial schwachen, nicht-akademischen Hintergrund komme, kann ich diese Grafik nur zu gut nachvollziehen: Ich weiß, wie schwer es viele Kinder und Jugendliche haben, die unter sozialer Benachteiligung leiden. Häufig gibt es niemanden im sozialen Umfeld, der studiert hat, es gibt kaum Inspirationen oder Ermutigungen eine höhere Bildung anzustreben, es gibt niemanden, der Fragen beantworten kann oder Möglichkeiten erklärt. Auch die schulische Laufbahn ist schwer zu bestreiten, wenn man an schlechteren Schulen ist, zuhause mit vielen Problemen konfrontiert ist und sich die Eltern keine Nachhilfe oder andere Bildungsangebote leisten können.
Diese strukturellen Bedingungen schaffen Armut, denn sie verwehren vielen die einzige Chance zum sozialen Aufstieg: Bildung. Und ich bin unglaublich dankbar für alle Möglichkeiten, die erhalten haben und die mich zusammen mit harter Arbeit an diesem Punkt gebracht haben, wo ich heute bin: Als Studentin einer dieser Grand Ecoles, deren Türen mir eigentlich verschlossen bleiben sollten. Es sollte eine der obersten Prioritäten der Politik sein, diese Tendenzen aufzuhalten, oder sie etablieren eine tiefe, gesellschaftliche Spaltung.