Drei Länder in drei Wochen
Viel Reisen bedeutet viele öffentliche Verkehrsmittel. Das bescherte Svenschka allerlei kalte und langwierige Abenteuer.
Jetzt schaffe ich es endlich mal wieder, hier etwas zu schreiben.
Viel ist in letzter Zeit passiert: Ich war für ein Wochenende in Finnland, zum Mid-Term-Meeting in Lettland, hatte eine kleine Arbeitskrise und bin jetzt neuer, guter Dinge.
Ich fange also bei meinem Ausflug nach Finnland an
Auf meinem Pre-Dep Training in Deutschland hatte ich ein Mädel getroffen, das zurzeit als Freiwillige in der Nähe von Lahti ist: Pirkko. Schon in Deutschland hatten wir beschlossen, dass ich sie besuchen werde, und Ende November (passend zum ersten Advent) war es dann so weit – ich bin mit Katharina, einer weiteren Freiwilligen aus Estland, nach Myllylähde, dem Dorf, in dem Pirkko lebt, aufgebrochen.
Das war wie immer etwas stressig: Katharina hat sich erst in letzter Sekunde entschieden mitzukommen, woraufhin ich bei ihr übernachtet habe und wir am nächsten Tag gemeinsam aufbrechen wollten. Sie war dann aber krank – und ich musste Pirkko, der ich erst einen Tag zuvor gesagt hatte, dass ich in Begleitung komme, wieder sagen musste, dass ich doch allein anreise. Kurz nachdem ich die SMS abgeschickt hatte, erlebte Katharina dann einen abrupten Wiedergenesungsfall und fühlte sich doch gesund genug, mich zu begleiten. Als wir mit dem Schiff übersetzten, schrieb ich Pirkko eine weitere SMS, in der Hoffnung, es sei nicht ganz so schlimm, dass wir so durcheinander waren – denn Pirkko wohnt in einer Gastfamilie.
Kaum in Helsinki angekommen, trennten wir uns von unseren Mitreisenden (Studenten, die Katharina hier aus Tallinn kannte) – es war 12.30 Uhr, das Schiff hatte volle 40 Minuten Verspätung, und wir hatten unseren Anschlussbus nach Lahti schon verpasst, der um 12.30 Uhr losfuhr. Außerdem hatte ich die Reederei Tallink überschätzt: Ihr Hafen war nicht der, der mitten in der Stadt ist, sondern einer, der relativ weit außerhalb lag und bei dem es nicht möglich war, mal eben zum Busbahnhof zu laufen.
Also ließ ich mich von Katharina zum Trampen überreden, wir bastelten uns ein Schildchen und hofften auf baldige Mitnahme, denn es fing sogleich an zu schneien und wie wir dort so standen, wurde es uns doch recht kalt. Man muss vielleicht sagen, dass trampen in Estland das normalste der Welt ist, in Deutschland hätte ich mit Sicherheit im Traum nicht daran gedacht – hier steht man jedoch nie lange. In Finnland allerdings wollte uns auch niemand mitnehmen. Lag vielleicht auch an der simplen Tatsache, dass wir von der Straße, die nach Lahti führte, kilometerweit entfernt waren, und uns außerdem noch Helsinkis Zentrum davon trennte...
Normalerweise fährt man ja, um auf eine Schnellstrasse an der anderen Seite der Stadt zu kommen, nicht zwangsläufig durch das verkehrsberuhigte Zentrum. Mit den Worten: „Wisst ihr, die Finnen mögen keine Tramper, es ist besser, ihr fahrt mit dem Zug." lieferten uns nach einiger Zeit aber zwei furchtbar nette, junge Finnen am Hauptbahnhof ab. Jetzt war die Zeit relativ knapp, ich hatte Pirkko gesagt, wir seien um 14.00 Uhr in Lahti, es war schon 13.15 Uhr und der nächste Zug fuhr erst um 14.08 Uhr! Und der war erst gegen 16 Uhr in Lahti. Und estnische Prepaid Karten haben nunmal kein Roaming, weshalb ich direkt erst mal eine Telefonkarte für sechs Euro kaufen musste, um Pirkko überhaupt erreichen zu können – unter dem Spott der Kiosk Verkäuferinnen, die gar nicht glauben konnten, das ein junger Mensch wie ich kein Handy hat (Na ja, Nokiacountry...). Es hat auch einige Zeit (ungefähr 15 Minuten!) gedauert, bis ich herausgefunden hatte, wie ich a) das öffentliche Telefon bediene und b) die Nummer so wähle, dass auch jemand drangeht. Falls es jemand noch nicht weiß: Der internationale Ländercode von Finnland lautet 00358, nicht 0035, wie ich ursprünglich annahm. Blöderweise ließ sich die Nummer aber auch nicht MIT Ländercode wählen, warum auch immer. Irgendwann erreichte ich Pirkko dann aber, erzählte ihr von unserer Misere und stellte erschreckenderweise fest, dass sie schon in Lahti war, um auf uns zu warten. Sie fand das aber zum Glück nicht sonderlich schlimm, denn sie musste sowieso noch ein paar Besorgungen machen.
Irgendwann machten Katharina und ich uns zu unserem Zug auf, auf dem nicht das Ziel stand, sondern ein Zwischenstopp, was uns ziemlich verunsicherte (mich zumindest, Katharina meinte, es würde schon stimmen), was mich dazu veranlasste, durch den halben Zug zu rasen und einen Schaffner zu finden. Aber, alles kein Problem, wir saßen im richtigen Zug und wollten gerade mit einer Partie „Bohnanza" beginnen, als das Abteil von einer Horde Schulkinder gestürmt wurde, welche die umherwandernden Erwachsenen dazu veranlasste, sich schleunigst auf alle Plätze zu drängen, die zur Verfügung standen. In traumhafter Nähe zu ein paar echten Finnen verbrachten wir also zwei Stunden Zugfahrt.
In Lahti hatte ich fest mit Pirkko gerechnet – die war aber nicht dort. Also musste ich eine weitere Telefonzelle suchen, einmal gefunden, dauerte es etwa fünf Minuten, bis ich die Telefonkarte hervorgezaubert hatte um DANN festzustellen, dass bei diesem Telefon der Hörer fehlt. Irgendwann fanden wir ein funktionierendes Telefon und stellten fest, dass Pirkko Lahtis Busbahnhof mit dem Bahnhof verwechselt hatte. Als sie dann kam, war die Wiedersehensfreude sehr groß, trotzdem waren wir sehr müde. Sie erklärte uns, dass sie in einem Camphill Dorf lebt, einer Community. Wir waren ziemlich gespannt darauf, weil wir auch Freiwillige in einem Camphill Dorf in Estland kennen und uns fragten, wie das Leben dort so ist. Wir fuhren ungefähr 30 Minuten von Lahti aus (Myllylähde liegt um die 25 Kilometer östlich von Lahti) über zum Teil unbefestigte Straßen, sahen aber nicht viel, weil es schon dunkel war. Wir wurden übrigens von jemandem mitgenommen, den Pirkko selbst auch gar nicht kannte, wie das eben bei der Camphill Bewegung so üblich zu sein scheint. Es waren zwei Deutsche, ein etwas älterer Herr und ein etwa 50jähriger Mann, die beide schon sehr lange in Finnland lebten.
Kaum in Myllylähde angekommen lernten wir einen Teil der Familie kennen, mit der Pirkko lebt. Vom Dorf sahen wir wegen der Dunkelheit auch nicht viel und spielten wieder Bohnanza, diverse andere Kartenspiele und ich hatte ewig lange Gespräche mti Pirkko, lange nachdem Katharina, immer noch krank, zu Bett gegangen war. Als ich am nächsten morgen aufwachte, war Katharina schon wach und deutete nach draußen – es hatte die ganze Nacht unheimlich viel geschneit und es war wirklich eine Freude, raus zu gehen und zum ersten Mal Myllylähde zu sehen, in eine dicke, weiche Schneedecke gehüllt, mitten im Wald. Wir freuten uns wie die (Achtung, Wortspiel!) Schneekönige und hatten einen wundervollen Tag dort. Abends natürlich mit Sauna, Schneespaziergängen, Tee und einem leckeren Essen, welches wir gekocht haben, mit der gesamten Familie und den Behinderten, die in dem Haus leben. Außerdem haben wir finnische Weihnachtslieder gesungen und den Adventskranz gebunden... Am nächsten Tag mussten wir leider schon wieder nach Hause – es war der erste Advent und die Rückreise war nicht im Mindesten so chaotisch, wie unsere Anreise. Aber eins war wirklich wundervoll: Myllylähde brachte eine unheimliche Entspannung, kein Laut im Wald außer den Kühen, die im Stall muhten und dem Rauschen der Bäume im Wind.
Die Woche nach Finnland verlief schleppend, freitags war dann aber Playboxshow der Kinder vom Jugendzentrum, in dem ich arbeite. Das war eine Miniplaybackshow, bei der ich Jurymitglied war. Hauptsächlich wurden estnische Stars kopiert – Tanel Padar allen voran – aber auch die Schlümpfe und Outkast waren dabei. Am besten gefiel mir persönlich ein kleiner Junge, der in Rock und Perücke allen ernstes Britney Spears imitierte ;-)
Besuch in Tartu
Von Lagedi aus musste ich schnellstens wieder nach Tallinn, weil ich unbedingt nach Tartu wollte, der zweitgrößten estnischen Stadt, in der zwei Freiwillige leben, und wo eine Menge anderer Freiwilliger aus ganz Estland auch hin wollten für dieses Wochenende. Ich saß also müde, frierend und ängstlich (ich hatte noch kein Ticket für den Bus und musste fürchten, keinen Platz mehr zu bekommen) am Tallinner Busbahnhof, bekam dann aber den drittletzten Platz im Bus nach Tartu um 22.15 Uhr – und sollte gegen 0.45 Uhr in Tartu sein, was aber nicht so war, denn ich kam schon um 0.30 Uhr dort an und es war wirklich bitterkalt, mal abgesehen davon, dass ich wirklich müde war und deshalb noch mehr gefroren habe.
Dann holten mich aber Juliane (JuliBi – die auch zu Gast war) und Gesine netterweise ab :-D Es war wirklich ein tolles Wochenende, auch wenn ich am Freitag erst so spät dort ankam. Am Samstag ging ich mit Vera zu einem Adventsmarkt in dem Waldorfgymnasium von Tartu, abends kochten die anderen Mädels sehr lecker und wir hatten eine gute Zeit :-)
Mein Rückweg am Sonntag war weniger erfreulich: Diesmal hatte ich schon ein Ticket für den Bus, die Frau an der Kasse sagte mir in gebrochenem Englisch, dass ich zur Plattform sieben gehen müsste. Es kam kein Bus. Und, was noch seltsamer war: es waren auch keine Leute da, die ebenfalls nach Tallinn wollten. Dabei ist dieser Bus grundsätzlich überfüllt. Gegen 11.45 Uhr (der Bus sollte 11.30 Uhr abfahren) machte ich mich dann wieder auf zur Information, woraufhin man mir sagte, dass der Bus schon weg sei und nicht an Plattform sieben abfuhr, sondern an Plattform eins, auf der anderen Seite des Busbahnhofes! Was natürlich auch selten blöd von mir war, dass ich nicht ein einziges Mal auf mein Ticket geschaut hatte, auf dem riesengroß „Platvohrm 1" stand. Mir wurde dann mitgeteilt, ich solle einfach den nächsten Busfahrer um 12.00 Uhr ein wenig bezirzen und er würde mich vielleicht umsonst mitnehmen, wenn noch ein Platz frei wäre... Nach einigem Zittern und Bangen habe ich tatsächlich den letzten freien Platz im Bus bekommen, ohne noch einmal 95 Kroonen für die Einfachfahrt nach Tallinn zahlen zu müssen... Sehr netter Busfahrer, wirklich, sehr nett!
[Mid-Term-Meeting in Lettland
Die Woche danach, zum 8. Dezember, musste ich zum Mid-Term-Meeting nach Lettland. Welch ein Erlebnis! Ich wusste, dass noch zwei andere Freiwillige aus Estland hinfuhren und das Mädel von der lettischen Nationalagentur sagte mir auch, mit welchem Bus sie kommen, aber ich konnte nicht denselben Bus nehmen, da ich in Tallinn auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen bin, diese aber nicht um sechs Uhr morgens fuhren. Deshalb nahm ich einen Bus später und hatte eine Email bekommen, in der stand, dass mich jemand um 12 Uhr am Busbahnhof in Riga abholt – was aber nicht der Fall war.
Ich wusste, dass das Treffen um 12.45 Uhr in der lettischen Nationalagentur war und dass die lettische Nationalagentur in der Merkela iela war, direkt gegenüber vom Rigaer Zirkus. Ich kannte weder den Rigaer Zirkus, noch die Merkela iela und auch nicht die Hausnummer der Nationalagentur, ich hatte keine Telefonnummer (was mir auch nichts genützt hätte, dank fehlendem estnischen Roaming hätte ich mein Handy eh nicht benutzen können) und auch nicht den Namen der Nationalagentur. Erstaunlich schnell und ohne großartige Panik hatte ich die Nationalagentur aber doch gefunden, bin zwar zwei Mal bis in den fünften Stock des richtigen Hauses gerannt und stand vor der Bürotür, aber dachte, ich sei falsch und bin wieder ins nächste Haus gelaufen.
Im Endeffekt hatte ich auch nur Glück, denn man hat mich gefunden: Es war die falsche Bürotür vor der ich stand und dieses Büro war leer, aber jemand kam gerade nebenan aus der Toilette und nahm mich mit. Dann musste ich noch Geld wechseln... ich stand 30 Minuten in der Bank und wartete brav, bis ich drankam, um mir dann sagen zu lassen, ich stände am falschen Schalter und solle mich noch einmal für 30 Minuten anstellen – wobei die Bank jetzt noch voller war, als zuvor. Ich wurde dann aber netterweise von einem Freiwilligen aus Riga an die Hand genommen und zu einer anderen Bank gebracht. Wir mussten von Riga aus etwa zwei Stunden nach Ost-Lettland fahren um zu einem zauberhaften kleinen Gasthaus, mitten im Wald (hatte ich das nicht schon? ;-)) zu kommen. Das erste, was wir herausfanden: Dies ist kein Mid-term-meeting, sondern ein Ess-Training. Das Essen war reichlich und wunderbar. Dann hörten wir, von den Trainern (Kairi aus Estland, die auch schon mein On-Arrival begleitet hatte) und Baiba aus Lettland und Kristine aus der lettischen Nationalagentur), dass sie doch glatt vor dem Mid-Term gewarnt wurden, weil es für gewöhnlich vor Frustration und unterdrückten Emotionen strotzt.
War bei uns aber garantiert nicht der Fall: sieben quietschfidele Freiwillige aus Litauen, Lettland und Estland, aus Frankreich, Spanien, Griechenland und Deutschland. Nur ein einziges Problem gab es: Ich war (und bin es leider immer noch) angeschlagen und krank. Samstags, als alle anderen spaßigen Skilanglauf betrieben, schlief ich krank in meinem Bettchen und auch die Sauna am vorigen Abend konnte ich leider nicht genießen. Sonst war es aber wunderbar: Schnee, viel und soweit das Auge reicht, nette Leute und gute Laune und auch wieder mal Ruhe.
Dort wurde ich übrigens auch zum Mörder: Alles war perfekt für ein kleines Rollenspiel: Cluedo ohne Spielbrett dafür aber mit einigen sehr engagierten Spielern, die auch dafür sorgten, dass ich, als verheiratete Gasthausbesitzerin, Mörderin des armen Wichts Ivar, der meine Affäre war, nicht entdeckt wurde. Alle wurden sie verdächtigt: Der kleine Junge, der nie gesprochen hatte (Laetitia), der chaotische Schriftsteller, der einen Kriminalroman schrieb (Rémi), die beiden betrunkenen Jäger (Kairi und Judith)... Nur ich nicht :-).
So, und wer jetzt behauptet, ich sei eine gute Lügnerin, der versteht gar nichts. Gaaaaaaar nichts :-)