Die Sandwich-Taktik
Johannson macht zunächst ein Praktikum in Wroclaw. Er wusste es ist Zeit. " Zwei Jahre im selben Ort ist genug, das macht dich zu klein".
Was macht man, wenn man weg will, aber zu faul ist zum Organisieren?
Man sieht zu, dass man jede Rückkehr zwischen zwei Scheiben Auslandsaufenthalt packt. Auch wenn dazwischen zwei Jahre liegen...
Und so bin ich von einem Praktikum in Polen nach Magdeburg gekommen, um Magdeburg für ein Praktikum in Polen zu verlassen. Von einer schönen Stadt in eine langweilige Stadt in eine schöne Stadt. Diesmal kann ich meinen verdorbenen Charakter sogar voll ausleben, denn ich arbeite weder ökologisch noch sozial, nein, bei der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer helfe ich das unschuldige Land weiter in die Reißzähne neoliberalen Kapitalismus' zu führen.
Das Praktikum mache ich vom 11. August bis Ende September in Wroclaw (Breslau). Im Oktober gehe ich dann weiter auf Erasmus nach Lodz (Lodsch). Aber das ist noch weit weg. Erstmal bin ich in Wroclaw, und das keinen Tag zu früh.
Vor dem Sprung
Am Ende war mir doch etwas mulmig, wieder ein Zimmer auszuräumen und sich von Freunden zu verabschieden. Auch wenn es Magdeburg war, in zwei Jahren gewöhnt man sich an einige Sachen und vor allem Menschen.
Aber ich weiß, wie ich es vor zwei Jahren wusste: es ist Zeit. Zwei Jahre im selben Ort, zumal einem wie Magdeburg, das ist genug, das macht dich zu klein. So war jede Wehmut, von manchen Momenten an den langen Sommerabenden abgesehen, zum Glück schnell vorbei sobald ich wirklich unterwegs war.
Auf der Mitte des Weges nach Wroclaw habe ich eine Nacht in Frankfurt (Oder) bei meinem Opa verbracht, quasi direkt auf der Grenze. Das war eine sehr schöne Zeit; ich mache gerne Halt auf einer Reise.
Wir haben die Viadrina besichtigt, von der man soviel hört. Das Auditorium Maximum, das Gelände auf dem davor der Campus entstehen soll, die neue Mensa direkt am Fluss. Frankfurt macht sich langsam, viel ist oder wird neu gemacht, und eine Unmenge neuer Cafés fällt ins Auge, die selbst bis spät gut besetzt sind.
Die Sonne schien wunderbar, wir sind entlang der ebenfalls recht neuen Uferpromenade gelaufen und haben bei der Gelegenheit noch schnell eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen; die nette Vertreterin unterbrach extra ihre Mittagspause. Abends waren wir im Kabarett, kulturell bin ich ja seit dem ersten Tag als Student ziemlich kurz gekommen.
Am nächsten Tag haben wir uns noch die Unigebäude auf der polnischen Seite angeguckt, das Collegium Polonicum mit dem Charme einer Schwimmhalle aus Wohncontainern. Vor meiner Abfahrt haben wir noch getestet, ob die ebenfalls neue und wirklich schöne Mensa am Fluss ihren vielen Auszeichnungen gerecht wird.
In Limbo
Donnerstagabend stand ich dann also in Wroclaw, pünktlich zu zwei Großereignissen. Einmal den Veranstaltungen zum Jahrestag des Warschauer Aufstandes, und zum größten Wasserausfall seit dem Krieg. Ja, ganz Wroclaw war ohne Wasser...zumindest für einige Stunden. Aber das war nicht mein Hauptproblem.
Seit Freitag war ich nämlich erstmal auf Wohnungssuche, und um es gleich zu sagen: ich hasse es wie die Beulenpest. Schon Freitagabend hatte ich das erste Angebot, war direkt auf einer Besichtigung und hatte quasi zugesagt. Das letzte was ich dann hörte war, dass man mich spätestens am nächsten Tag um 14 Uhr anrufen wird.
Ganz glücklich war ich ohnehin nicht, da es mir schon etwas weit zum Zentrum schien und ein Hund laut bellend durch die Wohnung lief. Aber angesichts der Wohnsituation und den Mietpreisen hatte ich die Hoffnung ohnehin schon begraben, in Preis oder Standard irgendwas wie in Magdeburg zu finden.
So saß ich ein Wochenende lang auf Kohlen und futterte Schokokekse im Akkord, denn ohne Wohnung komme ich geistig einfach nicht zu Ruhe. Nachdem die hiesige Uni mir mitteilte, das sie ausgerechnet dieses Jahr ihre Wohnheime mal spontan nicht vermietet, bereitete ich mich in stets bereitem Fatalismus schonmal auf zwei kontoleerende Monate im Hostel vor. Wenigstens hat mir das Personal wertvolle Hilfe geleistet.
Hans im Glück
Sonntag dann hatte ich unerhörtes Glück. Nicht ich musste jemanden kontaktieren, nein, auf einmal rief jemand auf eine E-mail vom Vortag hin mich an; etwas woran man ja gar nicht zu denken wagt in einer Stadt wo die Wohnungsangebote ca. 10 Minuten frei bleiben.
Auf einmal lief alles zusammen, die Anruferin stellte sich als sehr nette Frau heraus, die mit ihrer Familie nicht weit vom Hostel wohnte und mich direkt abholte. Sie hat mind. zehn Jahre in England gelebt, was mich natürlich besonders freute. Sie kutschierten mich dann ganz nach Süden, zu einem frisch renovierten Komplex gleich um die Ecke von meinem ersten Angebot.
Die Wohnung ist super, wenn auch etwas nah zwischen einer Ausfall- und einer Umgehungsstraße gelegen und das zu gegebenem Anlass scheinbar besonders patriotische Internet fast nur polnische Seiten anzeigt. Als ich gestern nach Hause kam habe ich gesehen, das ich auf meinem vorletzten Besuch in der Stadt mit Freunden in einem mittelmäßigen Restaurant direkt vorm Haus gewesen bin...man sieht sich immer zweimal.
Mitbewohner habe ich wohl auch, aber keiner weiß ob sie bleiben oder bald gehen und ob ich dann hier bleibe oder im September vielleicht zu der Familie selbst ziehe, die bei sich sowieso Studenten und Reisende unterbringt...mir auch egal. Nachdem ich dann mein Glück kaum fassend sofort zugesagt habe, nahmen sie mich noch mit zu sich nach Hause, wo ich erstmal von der Oma verpflegt wurde.
Angekommen
Und so bin ich jetzt endlich auch geistig angekommen. Inzwischen frage sogar ich mich ja manchmal, ob ich wirklich alle paar Jahre, Monate, Wochen meine Zelte wieder abbrechen will um irgendwo neu anzufangen; Freunde zu finden im sicheren Wissen, dass man sie bald sowieso wieder verlässt.
Aber auch wenn mir die Bulgaren und ihr Wahnwitz aus Magdeburg an den langen Sommerabenden manchmal fehlen; als ich gestern das erste Mal ohne mentalen Ballast durch die spätabendliche Stadt lief, über den Marktplatz mit den vielen Menschen, der Musik und den öffentlichen Ausstellungen, weiter zu meiner Lieblingskneipe an der Synagoge, war ich froh endlich wieder in einer richtigen Stadt zu leben.
Und natürlich wird es nie mehr so sein wie damals ganz am Anfang des allerersten Mals allein im Ausland, als jede Sorge fern und jeder Backstein spannend war. Aber manchmal, ja, mit ein bisschen Alkohol, wenn man nachts durch eine neue Stadt läuft, dann ist das Gefühl wieder erahnbar: das alles ist dein großer Spielplatz.
Eine Woche habe ich noch bis das Praktikum selbst beginnt, die ich für eine Mischung aus Urlaub und übrig gebliebener Uniarbeit nutzen werden. Ich habe mich auch in einer kleinen Privatschule für einen Polnischkurs eingeschrieben, der Montags und Mittwochs statt findet. Zur ersten Stunde gehe ich genau...jetzt.