Die Ruhe und der Sturm
Monat zwei ging zu Ende und ich habe mich in den verschiedensten Tätigkeitsbereichen ausprobiert. Bosnian housewife, Bergsteiger*in oder doch lieber Fremdenführer?
Hallo zurück,
da war der Monat schon wieder rum... Da sich seitdem einiges verändert hat und auch viel mehr oder weniger Spannendes passiert ist, bringe ich euch mal wieder auf den neusten Stand. Keine Angst, das Langweilige erspare ich euch. Der Titel dieses Eintrags ist einerseits passend zum Wetter vor dem Fenster just in diesem Moment, uns fliegen die Dachziegel davon, aber auch eine ganz gute Beschreibung für die ruhige erste Hälfte des Oktobers und die Ereignisflut danach.
Gegen Mitte Oktober hat sich mein Arbeitsplan verändert. Ich arbeite jetzt nur noch freitags wie gewohnt im Kindergarten, die restlichen Tage bin ich in der Küche und der Bar des Centars. Dort unterstütze ich die zwei Köche indem ich aufwasche und das Essen für den Kindergarten die vier Etagen nach unten zum Essensaufzug fahre, serviere Essen und koche Kaffee. Meist aber nicht allein, sondern mit einem der bosnischen Studenten.
Die Tage sind sehr verschieden. Es kann schon mal vorkommen, dass ich von 12 bis 16 Uhr die Küche nicht verlasse und quasi dauerhaft Geschirr spüle (wenn große Events stattfinden), an anderen Tagen habe ich auch oft mal nichts zu tun. Ich genieße die neuen Aufgaben aber trotzdem. Ich kann etwas freier und selbstständiger arbeiten, weil die Routine nicht so starr ist, wie im Kindergarten, komme mehr in Kontakt mit Menschen und bekomme besser mit, was im Centar so passiert. Wobei Zweiteres auch eine Herausforderung ist, beide Köche, der Hausmeister und die Reinigungskräfte können kein Englisch. Meinem Kroatisch tut's gut.
Und umso mehr freue ich mich freitags "meine Kinder" wiederzusehen. Erstaunlicherweise hat sich kommunikativ in den Tagen oben in der Küche einiges getan, es ist einfacher geworden mit den Kindern zu spielen und wirklich mit ihnen zu interagieren.
Ab Mitte November werde ich außerdem Dienstags und Donnerstags für eine Stunde einen "German Conversation"-Kurs für Erwachsene anbieten, es wird also nicht langweilig. Wie der läuft, dazu aber mehr im nächsten Eintrag.
Und was war sonst noch so los?
Einiges, wie ich beim Zurückblicken so festgestellt habe. Picken wir uns die interessantesten Teile heraus:
Do 17/10/ - Kochen im Hinterhof
Seit gestern kocht das Centar im großen Stil Ajvar in unserem Hinterhof und heute bin auch ich zum Helfen eingeteilt. An dieser Stelle wieder ein kleiner kulinarischer Exkurs: Ajvar ist ein so genannter Gemüsekaviar, ein Mus aus Paprika oder alternativ Paprika und Auberginen, der kalt zu Fleischgerichten serviert wird oder als Würzmittel und Brotaufstrich dient (danke Wikipedia mal wieder). Wir hacken also die Paprika und Auberginen klein, die gestern schon gebraten und gehäutet wurden, dann werden sie etwa 3h über einem Holzfeuer in einem abenteuerlichen Ofen gekocht und von Maria, der Küchenchefin, gewürzt. Und wehe es wird nicht dauerhaft umgerührt... Damit wir bei Laune bleiben, werden dann zum Mittag Ćevapi gegrillt und schon halb 11 der hausgemachte Rakija geöffnet. Ich bin jetzt auf dem besten Weg eine richtige bosnische Hausfrau zu werden!
So 20/10/ - Das erste Mal bosnische Gipfel
Paolo und ich haben uns am letzten Abend überlegt heute wandern zu gehen, da wir aber auch nicht ganz auf unseren Schlaf verzichten wollen, brechen wir zu jugendfreundlichen Zeiten (halb 11) zur Seilbahn Sarajevos auf. -Ja wir wollen wirklich nur ein Einzelticket kaufen, runter wollen wir laufen. Und bitte den Local-Preis.- Mit einer Aufenthaltsgenehmigung kann man nämlich für 1/3 des Touristenpreises fahren, wie ich erfahren habe.
Oben angekommen starten wir den Aufstieg zum Gipfel des Trebević in 1627m Höhe, was echt anstrengend und nicht besonders spektakulär war, da man die ganze Zeit nur im Wald läuft und keine Aussicht hat. Für die erste Hälfte wird man dann jedoch, nach 1,5h (1h schneller als angegeben), mit der atemberaubenden Aussicht auf dem Gipfel belohnt. Man würde nie vermuten, dass direkt über einer so großen Stadt ein solcher Gipfel zu finden ist. Da ich daran scheitere ihn mit seinen weißen Steinen und dem Grün des Grases gebührend zu beschreiben, schaut euch bitte einfach die Fotos an. Jedenfalls sind wir eine ganze Weile dort oben geblieben, haben uns immer wieder irgendwo niedergelassen, gegessen und die Aussicht genossen. Danach ging es weiter über den Kamm und dann auf der stadtnahen Seite den Hang wieder herunter. Dass es diesen Weg überhaupt gibt, haben wir auch erst beim Laufen festgestellt. Und da nur die Aufstiegsseite dicht von Bäumen bewachsen ist, hatten wir den ganzen Abstieg über einen perfekten Blick auf Sarajevo und die umliegenden Berge. Etwa in der Mitte des Berges liegt auf einem Plateau die Berghütte "Jure Franko", die von jungen Leuten betrieben wird und an der wir Pause machten. Danach weiter der Abstieg, bis wir 18:30 wieder vor dem imposanten Gebäude der Bibliothek Sarajevos standen und ich zuhause vollkommen fertig, aber erfüllt in mein Bett fiel.
Ich möchte die Wanderung und den Berg nicht zerreden, aber sie wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. -Ich bin noch auf dem Berg-, so das Gefühl am Abend.
31/10/ - 05/11/ - Besuch aus der Heimat
Ich habe über das verlängerte Wochenende Besuch von meinem Vater bekommen. Ein seltsames Gefühl in der Umgebung, an die man sich in den letzten zwei Monaten so gewöhnt hat, jemanden von "Zuhause" willkommen zu heißen. Irgendwie ganz normal und selbstverständlich und gleichzeitig auch ein bisschen surreal auf einmal den Fremdenführer zu spielen, wo man doch eigentlich selbst keine Ahnung hat.
Zuerst einmal werden die Koffer ausgepackt, einige Sachen wollte ich aus Deutschland noch haben, andere hat die ganze Familie mitgegeben (danke an alle). Ein bisschen deutsche Weihnachtstradition habe ich jetzt auf jeden Fall dank Adventskalender, Räucherkerzen und Reformationsbrötchen (Liebe Grüße an die Bäckerin, wurden auch von den Italienern sehr gelobt) auch in Sarajevo. Außerdem hat der Weihnachtsmann wohl in Deutschland meinen Wunsch nach einem Zupfinstrument jeglicher Art erhört und mich mit einer Ukulele beschenkt.
Noch am gleichen Abend machen wir die Innenstadttour mitsamt gelber Festung, die inzwischen schon zu einer Tradition geworden ist.
Am Freitag habe ich frei (Allerheiligen) und so machen wir uns wieder auf in die Stadt. Wir befolgen hörig Omas Auftrag, nach dem Papa doch dafür sorgen soll, dass ich mein Zimmer für den Winter etwas gemütlicher einrichte, und besorgen dafür einige Sachen.
Um auch dem Touristenanteil gerecht zu werden, wird danach dann noch die Vijećnica, das ehemalige Rathaus/Nationalbibliothek, angeschaut, die jetzt ein Museum beinhaltet. Abgesehen von dem wunderschönen Gebäude gab es auch einen sehr interessanten Film über das Iron Maiden-Konzert 1994 im belagerten Sarajevo zu sehen.
Cineastisch ging der Tag auch mit dem "Joker" zuende, bei dem wir definitiv von den in Bosnien nicht synchronisierten Filmen profitierten.
Samstag begaben wir uns das erste Mal seit unserer Anreise aus Sarajevo heraus, es ging in das süd-westlicher gelegene Mostar. Mit dem Zug eigentlich, zumindest solang, bis wir aufgrund einer Störung in den Bus umsteigen mussten. Die Fahrt an sich ist auf jeden Fall auch schon ein Erlebnis, die Landschaft ist wunderschön.
In Mostar angekommen wurden wir von Regen begrüßt. Also Regenjacken zumachen, Kapuze auf und los geht's. Außerhalb der Innenstadt ähnelt Mostar Sarajevo, alles sieht ein bisschen benutzt und kaputt aus, aber das Zentrum ist sehr gut renoviert. Der Baustil ist ähnlich wie der der muslimischen Innenstadt Sarajevos, jedoch wirkt er hier ganz anders. Während die Miljacka in Sarajevo recht flach dahin fließt, hat die Neretva ein tiefes Tal mitten durch die Innenstadt Mostars gespült. Den mediterraneren Flair der Stadt prägen auch die Granatapfel- und Feigenbäume und das türkisfarbene Wasser. Meine Annahme, das Wasser könne doch bei Regen gar nicht so türkis sein, wurde hiermit widerlegt. Der Anziehungspunkt für alle Touristen, so auch für uns, ist die alte Brücke "Stari most", die den hauptsächlich bosniakisch geprägten Ostteil mit dem stärker kroatisch geprägten Westteil der Stadt verbindet. "Die Brücke gilt seit Jahrhunderten als die symbolische Brücke zwischen Ost und West, nicht nur zwischen der Welt des Christentums und der islamischen Welt, sondern auch zwischen den katholischen Kroaten und orthodoxen Serben." (Wikipedia) Im Krieg wurde sie genau deshalb auch zerstört und dann bis 2004 wieder aufgebaut. Da ich Papa während seines Aufenthalts sowohl kulinarisch und als auch kulturell bilden wollte, musste in Mostar dann auch ein traditionell bosnischer Kaffee getrunken werden. Die Begeisterung hielt sich, glaube ich, in Grenzen.
Unsere für Sonntag geplante Wandertour (ja der Trebević wird jetzt meine Standartroute) musste wegen zu starken Windes leider ausfallen. Stattdessen besuchten wir die ebenfalls auf einem Berg gelegene "Bijela Tabija" (Weiße Festung) und danach wieder einmal das Džirlo (diesmal mit Foto).
Da sich das Wetter aber etwas besserte und mir das Centar spontan für Montag frei gab, konnten wir die Wanderung noch nachholen. Da wir deutlich später starteten, als ich damals mit Paolo, wollten wir eigentlich mit der Seilbahn auch wieder nach unten fahren. So der Plan, nur waren wir 10 Minuten zu spät und die Seilbahn hatte schon geschlossen. Aufgrund der Zeitumstellung war es auch schon echt dunkel, aber nützt ja nichts, also auf zum Abstieg. Das ging, dank des Mondes, tatsächlich leichter als gedacht. Zum Abschluss wurden dann noch Präsente für zuhause gekauft und dann war der Besuch aus der Heimat auch schon wieder vorbei.
Während ich diesen Eintrag geschrieben habe, hat der Sturm draußen aufgehört und unsere Nachbarn haben die Chance genutzt und veranstalten jetzt ein kleines Akkordeon-Konzert mit Gesang in ihrem Hof, das ich bis durch mein geschlossenes Fenster hören kann. Sehr bezeichnend dafür, wie ich immer mehr von der Balkankultur mitbekomme...
Soweit der Stand, heute gibt's mal ein paar mehr Fotos für euch, auch auf Wunsch einer einzelnen Leserin. ;)
Ihr hört von mir, ich hör' hoffentlich von euch. Viele Grüße vom Balkan.
Ćao, Irma
Kleine Vorschau auf den nächsten Eintrag: Wie ich mich zusammen mit Hanka (Deutsche FSJlerin in Sarajevo) auf die Reise nach Orahovica (Kroatien) begebe und dabei Zagreb unsicher mache und es wird sich herausstellen, ob ich Lehrkompetenzen besitze...
Kommentare