Deutsche Schweden in England
Was nämlich keiner weiß: ich bin in Wirklichkeit Schwede. Ich hab ja schon immer vermutet, dass ich nicht mit dem Rest meiner Familie verwandt sein kann, aber hier verschwinden auch die letzten Zweifel. Entweder werde ich mit den Skandinaviern in einen Topf geworfen oder ich bin Holländer oder Pole. Das ILM-Team auf unserem Bauernhof nennt mich schon ausschließlich Johannson. Iona, die neue Polin im Sprachkurs, hat mich glatt vergessen beim Zählen der Nationalitäten, weil sie mich als Landsmann mitgerechnet hat. Ist das nicht toll?! Ich wurde sogar schon für einen Isländer gehalten. Wegen meinem Akzent. Wie zum Teufel klingt Isländischer Akzent?!
Was nämlich keiner weiß: ich bin in Wirklichkeit Schwede. Ich hab ja schon immer vermutet, dass ich nicht mit dem Rest meiner Familie verwandt sein kann, aber hier verschwinden auch die letzten Zweifel. Entweder werde ich mit den Skandinaviern in einen Topf geworfen oder ich bin Holländer oder Pole. Das ILM-Team auf unserem Bauernhof nennt mich schon ausschließlich Johannson. Iona, die neue Polin im Sprachkurs, hat mich glatt vergessen beim Zählen der Nationalitäten, weil sie mich als Landsmann mitgerechnet hat. Ist das nicht toll?! Ich wurde sogar schon für einen Isländer gehalten. Wegen meinem Akzent. Wie zum Teufel klingt Isländischer Akzent?!
Um es kurz zu machen: kann das Zufall sein? Eben nicht. Vielmehr gibt es einem die beruhigende Gewissheit, mit diesen Verrückten zu Hause wenigstens nicht verwandt zu sein.
Ich & mein Tagebuch
Falls wirklich jemand außerhalb meines Freundes- oder Familienkreises dieses Tagebuch lesen sollte: ich heiße Johannes und habe das große Glück, ein Jahr als EVS-Freiwilliger in England zu verbringen. Ich arbeite und wohne auf einer Farm des National Trust im Nordosten des Landes, genauer gesagt an der Küste des Countys Durham, wo wir uns um die von Minenabraum verunreinigten Strände kümmern. Die Farm ist ziemlich einsam, aber ich habe damit noch weniger Probleme als ich anfangs ohnehin erwartet hatte. Wir sind sehr nah an Newcastle, somit bin ich jetzt ein Geordie und fühl mich ziemlich wohl in dieser Rolle. Vor allem, weil die Menschen hier wahnsinnig freundlich sind. Während beinahe alle anderen Freiwilligen die Briten als sehr kühl empfinden, habe ich noch nie so offene und gastfreundliche Leute erlebt. Soweit ich weiß, ist gerade die Gegend um Newcastle dafür bekannt, allerdings kann ich mich auch an keine übermäßige Zurückhaltung im Süden erinnern. Fast fühle ich mich hier zu wohl; wenn mir etwas Sorgen macht, dann die davon rennende Zeit und der Gedanke an den nächsten September, wenn ich, zurück in Deutschland, meinen Zivildienst ableisten muss.
Wenn Ihr ein gutes Tagebuch lesen wollt, das von Anne hat mir sehr gefallen. Fand ich sehr lustig und insbesondere der letzte Eintrag spricht mir aus der Seele: „Morgen fahre ich wieder nach Hause... irgendwie bin ich ein bisschen traurig”. Ein bisschen traurig? Der Gedanke an Rückkehr jagt mir kalte Schauer über den Rücken! Und ich bin ein ganzes Ende länger hier als sie. Hat vielleicht damit zu tun, dass ich kurz vor dem Ziel fast gestoppt worden wäre. Unser Bundesamt für den Zivildienst hielt es für klug, mir fünf Tage vorher in einem Brief mitzuteilen, dass sie es für besser hielten, wenn ich meine Zeit in Deutschland verbringe. Gott sei Dank hat mich mein Vater gerettet, wofür ich mich an dieser Stelle noch einmal bedanken muss. Ich weiß wie knapp es war, und daher ist mir dieses Jahr hier noch um einiges wertvoller geworden. Und immer noch habe ich die, hoffentlich irrationale, Angst im Hinterkopf, eines Tages wieder einen solchen Brief zu bekommen.
Aber ich rede lieber nicht mehr davon. Leider sind von meiner Zeit schon vier Monate vorbei. Ja, ich habe vier Monate gebraucht, um mein Langzeitprojekt Tagebuch zu beginnen. Aber jetzt sind Weihnachtsferien und ich habe mich endlich dazu durchgerungen. Meine Hoffnung ist, mir dadurch etwas Post zu sparen, denn ich tendiere zu seeeehr langen Briefen nach Hause. Ich werde mir Mühe geben, regelmäßig Einträge zu machen und nicht nach ein paar Monaten aufzuhören. Allerdings kenne ich meine Disziplin. Zum Glück habe ich immer wieder das Bedürfnis zu schreiben, wenn ich etwas Besonderes erlebe und es nicht vergessen will. Und da Briefe zwar oft, aber unregelmäßig geschrieben werden, ist eine Art Tagebuch genau das richtige Medium dazu.
Weihnachtsessen bei den Tointons
Um einen Anfang zu machen: ich habe mich offensichtlich entschieden, nicht nach Hause zu fahren, sondern hier zu bleiben und die englischen Weihnachts- und Neujahrssitten zu erleben. Zugegebenermaßen waren die ersten Urlaubstage ziemlich ruhig; ich war nur einmal weg bei den Eltern meines Supervisors am Weihnachtstag. Das war sehr nett; unspektakulär, aber äußerst gemütlich. Sei das englische Essen so schlecht wie es ist (auch wenn ich persönlich keine Probleme damit habe – im Gegensatz zu den anderen Freiwilligen, die ich kenne), zu Weihnachten gibt’s hier was Ordentliches. Zumindest bei Pauls Eltern; würde mich nicht wundern, wenn der Rest des Landes die obligatorische Tesco-Konserve aufmacht. Lecker Chemie-Quiche mit Zimt. Nein, halt, nicht Zimt; wenn dann zimtähnliche Geschmacksstoffe.
Aber bei den Tointons gab’s das traditionelle Essen: gefüllter Truthahn mit Bratkartoffeln und Gemüse, sogar mit Geschmack. Truthahn ist etwas zäher als unsere Gans, aber trotzdem sehr lecker. Dazu hatte jeder diese Weihnachtsknaller mit Papierkronen drin, die dann jeder auf dem Kopf hatte. Mir hat die gefallen; hab meine mit nach Hause genommen.
Zum Kaffee wurde dann neben diversen Salaten der Christmas Pudding und Christmas Kuchen zusammen mit Nusstorte rausgeholt. Wer sagt, dass man hier nicht vernünftig essen kann? Ich bin nur froh, dass wir hier keine Waage haben, nachdem einem in den letzten drei Wochen alles und jeder Kuchen und Mincepies angeboten hat. Ach ja, ich habe darauf bestanden, die Rede der Queen im Fernsehen zu gucken, was auch nicht ohne Komik war. Vor allem hatte das Wohnzimmer einen echten Kamin, was unheimlich gemütlich war.
Weihnachtsgeschenke von den Tointons
Leider haben mir sowohl Paul als auch seine Eltern als auch die ebenfalls anwesende Oma Geschenke überreicht, was ich wirklich hasse, wenn ich selbst nichts habe. Na ja, zumindest habe ich gerade eine Karte für sie geschrieben. Ich habe sogar etwas Brauchbares bekommen, einen Gutschein für HMV sowie ein Wörterbuch englischer Idiome. Ich glaub, davon werd ich ein zweites Exemplar besorgen und Iona schenken, die wollte ihre Arbeit besonders darauf konzentrieren. Dummerweise kann ich nicht direkt übers Telefon bestellen, weil ich keine vernünftige Kreditkarte habe; mit meiner kann ich nur Geld abheben. So muss ich irgendwann mal zu einem Buchladen in Newcastle sprinten, bestellen und dann noch mal hin, um es abzuholen. Ich hab ja jetzt hoffentlich bald endlich auch eine englische Karte, was aber auch nur so eine Cashcard werden wird. Das ist wirklich sehr hinderlich, wenn man auf einer Farm weitab vom Schuss lebt und nicht so problemlos in die Stadt kommt. So muss ich dauernd Paul fragen, damit er mit seiner Karte bestellt, so z.B. auch meine Zugtickets nach Edinburgh.
EVS & Edinburgh
Darauf freu ich mich schon sehr; am nächsten Wochenende fahr ich unsere portugiesische Freiwillige zu ihrem Geburtstag besuchen. Eine Schande, dass man nur zwei Trainings im Gastland hat, ich werde die anderen Freiwilligen wirklich vermissen, jetzt, wo keine gemeinsamen Treffen mehr anstehen.
Ich bin wirklich ein wenig stolz, zum EVS-Programm und den Freiwilligen zu gehören – und das kommt weiß Gott nicht oft vor. Insbesondere seit ich weiß, wie klein unser Kreis doch ist. Gerade mal 50.000 wurden meines Wissens seit 1997 verschickt. Und wenn die alle so sind, wie die Leute auf meinen Trainings, stecke ich hier wirklich in der Creme de la Creme der europäischen Jugend. Klingt pathetisch oder? Hey, aber tut mir leid, anders kann ich’s kaum ausdrücken. Mir ist wirklich unklar, wieso sich nicht mehr bewerben (oder werden nur so wenige angenommen?). Für mich ist es jedenfalls mit Abstand das Beste, was ich bisher getan und erlebt habe.
Silvester
Jetzt aber zurück vom Abstrakten zu etwas Praktischem. Als nächstes steht erst einmal Silvester auf dem Programm. Die schon erwähnte Freundlichkeit der Menschen hier hat mir doch tatsächlich zu einer Einladung nach Newcastle verholfen. Vor ein paar Wochen habe ich einen ökologischen Garten dort besucht und habe neben einer Einladung zu einem kleinen Konzert auch gleich eine weitere zu einer Neujahrsparty bekommen. Außerdem wurde mir auch eine Übernachtungsmöglichkeit angeboten. Und auch wenn ich sonst sehr vorsichtig an neue Leute heran gehe, habe ich diesmal spontan zugesagt. Schließlich habe ich nicht genug Zeit für übermäßige Vorsicht hier.
Das Konzert war sehr angenehm und hoffentlich der Anfang einer Art Sozialleben. Das ist auf meinem Hof nämlich augenfällig sehr begrenzt. Ich hätte echt gerne einen anderen Freiwilligen hier; oft fehlt einem schon jemand, mit dem man etwas unternehmen kann. Ich genieße zwar oft, hier meine Ruhe zu haben, aber manchmal wird die sogar mir zuviel des Guten. Jedenfalls habe ich eine Menge über die lokalen Bars und Clubs erfahren. Das war übrigens ein Wohltätigkeitskonzert für Kolumbien; in Deutschland wird keiner glauben, dass ausgerechnet ich so etwas besuche, und dann auch noch mit Ökos...
Silvester also werde ich hoffentlich wieder in der Stadt sein. Wie sich herausgestellt hat, legt mein Chef auf einer Party gleich nebenan auf. Außerdem ist da wohl ein Park in der Nähe, wo sich wahrscheinlich alle um Mitternacht sammeln werden. Trotzdem stehen mir noch einige Probleme im Weg. Erstens bräuchte ich eventuell noch ein Kostüm, da es sich um eine Themenparty handelt. So etwas kriegt man hier vor allem in den so genannten „Charity Shops“, also Läden für wohltätige Zwecke, wo man meines Wissens vor allem billiges und nutzloses Zeug finden kann. Ehrlich gesagt habe ich wenig Motivation, mir soviel Mühe zu machen, zumal ich extra nach Newcastle müsste. Zweitens habe ich erfahren, dass am Neujahrstag gar nichts geht: keine Metro und kein Zug. Das bedeutet ich kann erst Sonntag nach Hause und brauche noch einen Platz zum Schlafen. Ich werd wieder Jill fragen, und wenn dort wider Erwarten nichts zu finden ist, streich ich halt die ganze Geschichte. Ich könnte zwar eventuell im Jugendhotel übernachten, aber soviel Geld und Aufwand ist mir die Sache dann nicht wert.
Und sonst so...
Das sind also meine aktuellen Ziele. Davon abgesehen habe ich mehr als genug Dinge zu erledigen. Der Englisch- als auch der Französischkurs halten immer gut Arbeit bereit, und eigentlich wollte ich schon längst neue Schreibübungen für beide erledigt haben. Aber wie immer vertrödele ich viel zu viel Zeit dieses wertvollen Urlaubs... es ist schon schwer genug, überhaupt aus dem Bett zu kommen. Und ich will vielleicht noch einen dritten Kurs belegen. Wenigstens habe ich endlich sämtliche Post nach Hause erledigt, ganz abgesehen von den Weihnachtskarten. An denen habe ich vorletztes Wochenende bis in die Nacht gesessen. Dabei habe ich mich wirklich schon auf die wichtigsten Adressen beschränkt. Hoffe nur, dass dann wenigstens alles rechtzeitig angekommen ist.
Eigentlich wollte ich auch außerdem noch einen bestimmten Wanderweg ablaufen bzw. –radeln, aber dazu bleibt mir scheinbar keine Zeit mehr. Nur gestern musste ich einfach mal etwas spazieren gehen, nachdem ich zu lange im Haus gehockt habe. Himmel, ich bin fast bis Seaham gekommen, dabei hatte ich es viel weiter nördlich geschätzt. Gut zu wissen; falls mal wieder die Busse ausfallen, dann kann ich bis dahin laufen und von dort den Zug nehmen.
Tja, so mach ich mir auch im Urlaub Stress. Hätte ich nur gewusst, dass sowohl die öffentlichen Verkehrsmittel als auch die meisten Jugendherbergen in den Weihnachtsferien wider Erwarten doch funktionieren, ich hätte endlich etwas verreisen können. Manchester habe ich noch in sehr guter Erinnerung, genau wie Schottland. Auch wenn mich alle anderen mir bekannten Freiwilligen sträflich im Stich gelassen haben und nach Hause gefahren sind beziehungsweise arbeiten müssen; ich hätte auch allein etwas Spaß gehabt.
Wie dem auch sei, ich denke für den ersten Eintrag ist das genug. Endlich mal was Konstruktives gemacht heute. Ein Foto von mir gibt’s nicht, weil ich keine Digitalkamera hab. Aber das werden ohnehin nur Leute lesen, die mich kennen. Wünscht mir Glück, dass ich das Wochenende überlebe,
Alles Gute, Johannes.