Der Winter auf dem Rückzug
Über den schneereichsten Winter meines bisherigen Lebens, den nahenden Frühling, die Corona-Lage und was sonst noch so alles passiert
Es ist Halbzeit!! So richtig kann ich es nicht glauben, die Zeit ist unheimlich schnell verflogen und gleichzeitig bin ich schon eine gefühlte Ewigkeit hier. Jetzt heißt es aber um so mehr den Rest zu genießen, auch wenn mit jedem Tag die letzten Male näher rücken und sich die ersten Male in die Vergangenheit entfernen...
Aber was ist denn so passiert in den letzten Wochen?
Erstmal will ich eine kleine Berichtigung meines letzten Eintrags vornehmen: ich habe geschrieben, wir würden im Garten Sandkuchen backen, tatsächlich haben wir aber in den letzten zwei Monaten allerhöchstens Schneekuchen gebacken. Seit einer Woche ist der Schnee auf dem Rückzug, weswegen der Sandkasten ein See ist und eher matschbraune Cocktails gemischt werden. Es wird hoffentlich bald wieder Sandkuchen geben, aber bis dahin versinken wir gerade jeden Tag im Schlamm.
Über die ersten Schneetage hatte ich berichtet, ab dem 30.November gab es immer wieder einzelne Tage oder auch mal 2-3 am Stück in weiß. Auch über den Schnee am 1. Weihnachtsfeiertag habe ich berichtet, aber ob ich seitdem beschrieben habe, wie hartnäckig der Schnee ist, weiß ich nicht. Deswegen nun hier nochmal: wir hatten seitdem nun knappe 2 Monate fast durchgehend Schnee!! Nach Weihnachten sind die Temperaturen noch einmal über den Gefrierpunkt gegangen, aber vom 9. Januar bis zum 19. Februar hatten wir durchgehend Minusgrade, teilweise sogar -20 Grad, sodass der Schnee liegen geblieben ist und im Pik wohl ca 40-50 cm Schnee lagen. In der Großstadt, wohlgemerkt!! Und es gab kein Verkehrschaos...!
Bei einem Ausflug mit dem Kindergarten stand ich auf einem Feld fast knietief im Schnee, das habe ich bisher noch nie erlebt! Dass die Kinder teilweise bis zu den Hüften eingesunken sind und wir bei diesem Ausflug nicht weit gekommen sind muss ich wohl nicht extra erwähnen, dass wir einen Riesenspaß hatten aber wohl auch nicht... Wir haben alles gemacht, was man mit Schnee in Lettland machen kann. Wir sind Schlitten gefahren, ich habe Langlauf gelernt, wir sind auf der zugefrorenen Daugava rumgelaufen, haben Schneemänner gebaut und uns epische Schneeballschlachten mit vorwitzigen Kindergartenkindern geliefert, ich habe viele Schneespaziergänge gemacht, wir sind einer mysteriösen Spur im Schnee in unserem Garten gefolgt und ja, ich hab auch zwischendurch mal gefroren.
Es hat riesigen Spaß gemacht und natürlich wünsche ich mir, so einen Winter noch mal zu erleben, dann vielleicht sogar ohne Corona, aber um ehrlich zu sein denke ich, dass es für mich der Winter zum Verabschieden vom Winter war, angesichts des Klimawandels.
Seit dem letzten Wochenende taut die inzwischen nicht mehr ganz so weiße Pracht weg, in den ersten Tagen musste man sehr auf Dachlawinen oder runterfallende Eiszapfen achten, inzwischen sind nur noch vormals plattgetretene und gefrorene Flächen geblieben und der Rest ist schon weg. Der Frühling kommt also! Und auch wenn ich gerne noch ein bisschen Winter gehabt hätte, um die Schlammschlacht im wahrsten Wortsinn noch etwas hinauszuzögern, bin ich jetzt auch froh, dass sich was tut. Auch wenn die Bäume noch nicht grün sind ist die Welt wieder ungewohnt farbig ohne Schnee...! Und auch die Tage werden merklich länger, inzwischen geht die Sonne auf, wenn ich Zähne putze und von der Morgenröte ist fast nichts mehr zu sehen, wenn ich an der Autoosta sitze. Und es ist jetzt auch wieder hell, wenn wir von der Arbeit zurückfahren, meine Mitfreiwillige und ich schauen uns immer noch fast jeden Tag verwundert an, wenn wir aus dem Bus steigen, und sind fasziniert davon, dass es noch HELL ist...!
Das steigert meine Vorfreude auf den Sommer extrem. Zwar gibt es in Lettland keine durchgehend hellen Nächte, aber die Tage sind sehr lang. Wir haben schon gesagt, da kann man eher durchmachen, um den Sonnenaufgang zu sehen, als früh aufstehen...
Aber das mit dem Durchmachen ist ja so eine Sache, würde man ja eher machen, wenn man auf einer Party ist. Die sind aber angesichts der Corona-Krise mindestens noch bis zum 6. April verboten, vermutlich auch noch länger, obwohl das noch niemand sagen will. Lettland hat EU-weit einen der schlechtesten Inzidenzwerte, zwar gehen die täglichen Fallzahlen langsam runter, ebenso wie der prozentaule Anteil positiver Test, aber eben nur langsam. Und eine Verbesserung von sehr sehr schlecht ist auch noch weit entfernt von gut...
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, wir alle hoffen doch auf den Sommer und auf die Impfungen und noch sind es fünf Monate hier. Immer noch genügend Zeit, um eine gute Bar oder ein Lieblingscafe zu finden, wenn sie wieder öffnen dürfen, und auch noch genügend Zeit, um Ausflüge oder sogar Urlaube zu machen.
Um also an dieser Stelle ein kleines Halbzeitfazit zu ziehen: es ist unglaublich gut, hier zu sein, selbst bei der aktuellen Lage. Mit meiner Arbeit fühle ich mich super, dort bin ich angekommen bei den Kindern und Teachers und habe wirklich das Gefühl etwas sinnvolleszu tun. Ich habe Freund*innen gefunden, von denen ich schon jetzt weiß, dass ich sie nur sehr ungern wieder gehen lassen werde, ebenso wie meine Mitfreiwillige, die wirklich das Beste ist, was mir hier passieren konnte. Und ich habe schon jetzt sehr viel gelernt, übers Leben, über Selbstständigkeit und über mich selbst, sodass die kommenden 5 Monate nur gut werden können.