Der vierte Januar 2007
Ich hatte nicht geschlafen. Eine meiner schönen Freundinnen feierte in ihren Geburtstag rein, ich wollte mich von allen verabschieden und musste die Nacht über noch packen. (Dem Schlafmangel kann ich es vermutlich in die Schuhe schieben, dass ich mich entschied, in meinen Mörder-Koffer vor allem Fotos und Bücher zu packen und mir die Kleidung nachschicken zu lassen.)
Sobald ich es geschafft hatte am Morgen des vierten Januars mein Gepäck in den Zug zu hieven und nicht nur in den Zug, sondern auch in die Nähe meines Sitzplatzes und sobald ich saß und sobald der Zug durch die Morgendämmerung rollte und spätestens dann, als ich die junge polnische Mutter neben mir bemerkte, war alles klar, alles selbstverständlich und nichts wäre eine bessere Entscheidung gewesen, als nach Polen zu gehen. Zu fahren. In einem alten Zug mit einem riesigen Koffer. Die junge Polin rauchte neben der Zugtoilette, neben dem Rauchen-Verboten!-Schild und sprach mich auf Deutsch an. Es war zu laut und ich verstand sie nicht, außer, dass sie auch in Stettin umsteigen musste. Sie war die Polin, die ich mir erhofft hatte zu treffen: blass, blauäugig, schön, Augenränder, lange, aschblonde Haare und dann ihre beiden Kinder, die trotz ihrer Zartheit und den blonden Haaren alienhaft wirkten und mich schlau über ihre Augenränder hinweg beobachteten. Und als wir alle vier in Stettin umsteigen mussten, halfen die kleinen Gnömchen ihrer jungen Mutter so gut sie es konnten, ihren riesigen, kaputten Koffer über die Treppen zum anderen Bahnsteig zu schleppen. Leider verlor ich sie dann aus den Augen.
Die Mitfahrer in meinem Zugabteil sprachen mich auf Polnisch an, beobachteten mich ungeniert beim Schlafen und Wachen, schätzten mich auf 16 und halfen mir mit dem Gepäck als ich aussteigen musste. Inzwischen war es wieder dunkel geworden und ich wurde von Jarek (meinem Koordinator) und Louise (einer weiteren deutschen Freiwilligen) vom Bahnhof abgeholt. Wir fuhren in meine Wohnung und erst als ich in meinem Zimmer stand und zwei Betten sah und nicht nur eins, erfuhr ich, dass ich mir das nächste halbe Jahr mein Zimmer teilen muss! Mit einer Wildfremden!!!
Doch die erste Nacht durfte ich noch allein verbringen in der zwar sehr chicen, aber unglaublich kleinen Wohnung, in der es nur einen einzigen Tisch gibt, keine Küche und zwei kleine Zimmerchen für drei Menschen. Für mich allein war es perfekt.