Der schöne Schein
Aller Anfang ist schwer, vor allem wenn Vorstellung und Realität unsanft aufeinander prallen.
Bevor ich meinen Freiwilligendienst hier in Frankreich antrat, habe ich eigentlich nicht viel darüber nachgedacht, wie es sein würde. Ich weiß nicht mal warum, eigentlich mache ich mir immer viel zu viele Gedanken und plane lieber, anstatt Dinge auf mich zukommen zu lassen. Als ich genau vor zwei Wochen am Flughafen stand wurde es mir dann irgendwie erstmal so richtig bewusst: ich werde ein Jahr in Frankreich verbringen, ohne Familie, ohne Freunde und ohne die Sprache gut zu können. Aber alles halb so wild, dachte ich. Am Anfang kann ich mich noch mit Englisch durchschlagen, langsam mein Französisch aufbessern und alles wird nicht so dramatisch. Wie sich rausstellte, war das allerdings reichlich optimistisch und vielleicht auch etwas naiv.
Als ich die erste Nacht in meinem Einzelzimmer im Studentenwohnheim verbrachte, das ich liebevoll 'Schuhkarton' nenne, wurde mir alles irgendwie zu viel. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, hier das nächste Jahr zu verbringen. Ich vermisste meine Familie und Freunde unendlich - alles Vertraute eben und fragte mich warum ich das eigentlich gewollt habe. Warum ich mich Hals über Kopf hier hinein stürzen wollte, ohne zu wissen was mich erwartet. Ich war völlig überfordert von meinen Gefühlen und meinen Ängsten. Meine anfängliche Abenteuerlust schlug um in den Wunsch nach Zuhause. Am liebsten wäre ich sofort in den Flieger zurück nach Deutschland gestiegen. Aber mir war klar dass das natürlich nicht ging.
Am nächsten Morgen, meinem ersten Arbeitstag, wurde ich herumgeführt und allen vorgestellt. Natürlich sprach niemand Englisch. Viele neue Gesichter, viele neue Namen, viele französische Fragen danach wie es mir denn ginge und wo ich herkomme. Viel zu viel von allem. Schon wieder war ich völlig erschöpft - obwohl es noch nicht mal Mittag war. Ich weiß bis heute nicht, warum mir das so schwer gefallen ist. Ich spreche seit Ewigkeiten davon ins Ausland zu wollen, Abenteuer zu erleben und von zuhause weg zu sein. Und nachdem ich in Deutschland schon oft alleine quer durchs Land gereist bin, ohne zu wissen was mich am Zielbahnhof erwarten würde, war das hier irgendwie anders. Ich dachte, es würde mir leichter fallen. Den absoluten Tiefpunkt erreichte ich als mir an meinem Schreibtisch im neuen Büro Tränen übers Gesicht rollten. Ich teile es mir mit einem wunderbaren Menschen - Calypso, die mich völlig überrascht von meiner Traurigkeit sofort in den Arm nahm und tröstete. Sie spricht hauptsächlich Französisch und ein paar Brocken Englisch, aber irgendwie schaffen wir es doch immer wieder uns mit Händen und Füßen zu verständigen und sie kommt mir schon jetzt wie eine gute Freundin vor, obwohl wir uns gerade mal zwei Wochen kennen. Aber ich glaube das ist auch etwas das so ein Auslandsjahr im Unbekannten ausmacht: man findet Menschen, mit denen man sich verbunden fühlt, obwohl man vermeindlich nicht dieselbe (Mutter-)Sprache spricht.
Am Nachmittag meines ersten Arbeitstages beschloss ich also das mir Gegebene zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Ich räumte endlich meine Koffer aus, hängte Unmengen von Bildern meiner Liebsten an die Wände und putzte. Die Spinne, die an meiner Decke hing und die ich mich nicht traute zu entfernen, gab ich einfach einen Namen - Herbert - und machte sie zu meiner Hausspinne. Mittlerweile ist sie verschwunden. Dafür fühle ich mich umso wohler in diesem Zimmer, das immer mehr zu meinem Zimmer wird. Laut einer Studie braucht ein Mensch 21 Tage um sich an etwas Neues vollständig zu gewöhnen. Für mich fühlt es sich an als wäre ich schon Ewigkeiten hier - so können sich Dinge ändern.
Als ich letzten Sonntag bei wunderbarem Sonnenschein auf einem Radweg mitten durch endlose Wiesen und Wälder fuhr, fragte ich mich plötzlich was eigentlich der Begriff Heimat bedeutet. Wenn man sich mit einem Ort verbunden fühlt? Seit meiner Reise nach Paris vor vier Jahren war mir eigentlich klar dass mich Frankreich fasziniert. Die Eleganz, die Leidenschaft, das gute Essen, die melodische Sprache. Nach zwei Wochen hier kann ich sagen dass das Meiste, das ich bisher sehen durfte wirklich so wunderschön ist, wie es scheint.