Der erste Heimatbesuch...
Ein Viertel ihrer Zeit in Schottland ist bereits vergangen. Zur Feier des Anlasses – und weil eine gute Freundin Geburtstag hatte – hat sie einen kleinen Abstecher nach Hause gemacht. Ansonsten gibt es nervige und nette Familien zu betreuen und Weihnachtspartys vorzubereiten.
Soso, nun bin ich inzwischen schon über drei Monate hier... Hab das Schreiben wohl ein bisschen vernachlässigt... Das hatte mehrere Gründe, aber der wichtigste ist wohl, dass ich in meinen letzten freien Tagen in Deutschland gewesen bin. Eigentlich hatte ich mir ja fest vorgenommen, nicht vor März nach Haus zu fahren, von wegen Hälfte rum und so, aber als ich erfuhr, dass ich nun grad an Rikes Geburtstag frei hab, konnte ich es mir nicht nehmen lassen, einen Flug zu buchen und für vier Tage nach Haus zu fliegen. Die Überraschung ist geglückt, und es wurde tatsächlich größtenteils geheim gehalten. Zumindest Rike wusste nichts, bis ich einfach auf ihrer Party aufkreuzte...
Aber ja, irgendwie bin ich nun seit zwei Wochen wieder hier und ich habe nicht das Gefühl, wirklich zu Haus gewesen zu sein. Im Nachhinein würde ich vielleicht vieles anders machen, oder einfach nicht fliegen... Es tat sehr gut, zu sehen, dass sich kaum etwas verändert. Dass zu Hause, immer noch zu Hause ist, dass Freunde immer noch Freunde sind und mein Platz frei gehalten wurde... Aber es tat weh, Nils für so kurze Zeit wieder zu begegnen, ihm wieder auf Wiedersehen zu sagen... Es hat mich eine Woche gekostet, das zu verkraften...
Nun, vermutlich wäre es nicht so schlimm gewesen, wenn wir Familien hier gehabt hätten, aber das Haus war leer die letzten zwei Wochen und wir haben nur langweilige, Zeit füllende Arbeit gehabt... Einen Tag haben wir das gesamte Haus mit Weihnachtsdeko versehen. An einem anderen Tag haben ich und Katarina über 100 Geschenke verpackt und mit Namen versehen. Unterwegs waren wir, ein wenig, und Trainings hatten wir, Laub geharkt haben wir über drei Tage (wir sind immer noch nicht fertig) und all solch netten Dinge... Und immer schön von 9am bis 5.30 pm, so dass es immer dunkel war, wenn man mal frei hatte... Kann mir einer sagen, wie ich da die Liebe zu diesem Land wieder finden soll, wenn ich grad total deprimiert bin?
Na ja, nach einer Woche leiden bin ich dann eines Morgens aufgewacht und es war fast alles wieder okay. Weiß zwar nicht, wieso, aber es war gut. Und heute habe ich auch endlich die Liebe wieder gefunden und die Schönheit wieder gesehen. Das war sehr wichtig, da dies der Punkt ist, der mir hier Wärme und Kraft gibt: Die Natur.
Aber mal ab von meinen Depressionen und dem Heimatbesuch, der im Nachhinein eher wie ein Traum wirkt, da alles so rasch vorüber flog, habe ich sonst auch ne Menge erlebt. Zum Beispiel meinen ersten, echt grausamen Family-Stay: Zwei Mütter mit ihren Kindern und ein Vater mit zwei Söhnen. Die eine Mutter hatte nur einen Sohn (15) die andere zwei Söhne und eine Tochter. Die Kinder waren allesamt verzogen, nervig, provokant, laut, eigentlich kann man da jedes erdenkliche negative Wort einfügen. Die Mütter waren genauso gut... Dauernd am Fluchen, voller Erwartung, faul, wichtigtuerisch, besserwisserisch, herrisch. Wie auch immer, ich hab mich absolut unwohl gefühlt. Der einzige Lichtblick war der jüngere Sohn des Mannes, Duncan (10) – Doch nach einigen Tagen wurde diese Familie nach Haus geschickt, weil ausgerechnet Duncan die Grenze überschritten hatte und einen der Mitarbeiter geschlagen hat... Das hat mich tierisch wütend gemacht, weil ich der Meinung war, dass diese Familie die einzig vernünftige war, und dass Duncan die Grenze nur überschritten hat, weil er es nicht besser wusste. Und die anderen haben ihn dort hin getrieben. Klar, es war richtig, sie nach Haus zu schicken, aber ich war einfach der Meinung, dass eine der anderen Familien viel früher hätte gehen müssen...
Nun ja, auf diesen Stay folgte einer, der für mich sehr angenehm war, für die meisten anderen aber nicht: Zwei Mütter mit ihren Kindern – die eine hat drei sehr liebe Töchter, die andere einen 10-jährigen hyperaktiven Sohn und eine Lernbehinderte 17-jährige Tochter. Die Kinder waren nicht das Problem, darum gefiel mir der Stay ja auch. Ich habe die meiste Zeit mit einer der Mädels verbracht und das war echt schön. Aber die Mütter waren anstrengend, da sie beide 100 Prozent Aufmerksamkeit verlangten, neidisch auf einander waren, depressiv, und alles getan haben, um ihre Probleme jemandem zu erzählen. Aber, wie gesagt, mich hat das nicht getroffen...
Ansonsten habe ich nun ein Pflegepferd. Rio mit Namen, englisches Vollblut von Natur (glaub ich zumindest) ehemals Rennpferd, sehr hoch im Temperament, aber super klasse. Bin nun ein paar Mal schon dort gewesen, allerdings halt nicht so oft, da es nicht möglich ist, während ich arbeite. Und an meinen freien Tagen ist komischerweise nicht immer Sonnenschein, was ich gar nicht verstehen kann… Nun, heute war ganz viel Sonne, aber ich hatte Termine in Callander und das ist leider die entgegengesetzte Richtung, insofern habe ich dann einen Wald-/Bergspaziergang bevorzugt. Aber es tut gut, einfach ab und an mal raus zu kommen und bei Rio zu sein. Pferde sind doch immer noch mit das Wichtigste für mich. Sie lassen mich alles vergessen. Da ist nichts, als das Pferd und ich und die Wiesen, über die wir reiten. Kein Heimweh, kein Streit, keine Tränen, nichts. Da ist dann einfach kein Platz für. Und das ist wichtig, ab und an mal abzuschalten. Denn, ja, auch wenn wir hier eigentlich ein gutes Team sind, es gibt doch immer Probleme, wenn man mit so wenigen auf so engem Raum lebt, sich alles teilen muss und auch mal für andere arbeite machen muss. Oder auch nicht... Aber ich will mich grad nicht aufregen insofern heb ich mir das für später auf.
Ich hab nun grad sieben Tage frei, und dann kommen die Familien für Weihnachten. Das wird komisch, Weihnachten zu arbeiten, nicht zu Haus zu sein, keine Geschenke zum auspacken... Wir hatten gestern Weihnachtsfeier, stuff-intern. Mit ‚Secret Santa’, wo halt jeder einen Namen gezogen hat und demjenigen ein Geschenk machen musste. Ich habe Anjas Namen gezogen, und da die Arme hier fast vom Fleisch fällt, hab ich mir die Mühe gemacht und vegane Kekse gebacken. Ich selbst bekam tolle Schokolade und ein Make-Up-Set, mal schauen, was man damit so anfangen kann ;) – Na ja, aber so’n Taschenspiegel hat schon was Praktisches fürs Haare Stylen oder Schminken unterwegs (kann mich nicht dran erinnern, das jemals getan zu haben, aber, na ja…)
Es war eine nette Party. Ich wurde damit beauftragt, die Party zu organisieren, und hab mich also mit Katarina daran gemacht, Partyspiele zu improvisieren. Haben dann im Ende eine Art Tabu gespielt und Storytelling (Geschichte improvisieren mit Worten, die auf Karten stehen). Und ‚Pass the parcel’, da wird ein mehrfach eingepacktes Geschenk herumgereicht, so lang die Musik läuft. Wenn sie stoppt, muss derjenige, der das Geschenk hat, die nächste Schicht öffnen, darunter befindet sich eine Aufgabe, die er erfüllen muss, dann geht’s weiter. Wer die letzte Schicht auspackt, darf das Geschenk behalten.
Ja, viel mehr hab ich auch eigentlich nicht erlebt. Ich meld mich bald wieder, denk ich mal,... ansonsten wünsch ich Euch allen ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch. Denn wenn ich nicht in den nächsten Tagen schreib, dann erst wieder im neuen Jahr – in Anbetracht der Tatsache, dass Nils am 27ten her kommt…