Denn diese Dämonen schweigen nicht - ein Kommentar zur Wahl in Israel am 17.3.2015
Schon wieder Wahlen - nur gut zwei Jahre, nachdem die "ersten sozialen Wahlen" seit Staatsgründung abgehalten wurden, muss schon wieder ein neues Parlament her. Und die Stimmung in Vorbereitung auf den 17. März könnte der von 2013 kaum unähnlicher sein...
Der 22. Januar 2013 war ein sonniger Tag, schon lag Frühling in der Luft beim Spaziergang um den See Genezareth, den Pullover ließen wir nachlässig im Auto liegen und überall wurden Picknickdecken ausgebreitet, auf denen sich Familien tummelten, die den freien Tag zu einem Ausflug aus der Stadt nutzten.
Am Wahltag, der nicht wie in Deutschland auf einem bestimmten Wochentag liegt, haben bis auf wenige Ausnahmen alle Israelis frei, um ihr Wahlrecht in jedem Fall wahrnehmen zu können. Eine gespannte Hoffnung lag in der Luft - zwei Sommer lang hatten junge Menschen aus dem ganzen Land in Tel Aviv mit Zeltstädten gegen die immer weiter steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten im Land protestitert, worauf Ministerpräsident Netanjahu mit Unwillen reagierte und stark an Popularität einbüßte. "Bibi"- Grafittis und Stencils wie auf dem Foto unten zierten viele Hauswände in Tel Aviv, und die Hoffnungen stützten sich auf den charismatischen Ex-Journalisten Yair Lapid, dessen frisch gegründete mitte-links Partei "Yesh Atid" (Es gibt eine Zukunft) soziale Reformen versprach. Ein weiterer wichtiger Player, allerdings deutlich weiter rechts auf der politischen Skala, war Naftali Bennet vom "HaBeit HaYehudi" (das jüdische Haus), eine konservative zionistische Partei, die sich offen für weiteren Siedlungsbau ausspricht.
Die Menschen, die wir trafen, bestätigten die linke Stimmung im Land, die es so seit Jahren nicht gegeben hatte. Selbst der linksaußen-Partei Meretz, vergleichbar etwa mit der Linken in Deutschland, wurden große Chancen auf eine erhöhte Sitzanzahl im Parlament prophezeit, und einige gingen sogar so weit, von einem Sitz für "Ale Yarok" (Grünes Blatt) zu sprechen, eine Partei, deren erklärtes Ziel die Legalisierung von Marihuana ist, und die seit 1999 regelmäßig zu den Wahlen antritt, ohne jemals einen einzigen Sitz ergattert zu haben (dazu sei gesagt, dass in einem Land wie Israel, in dem Marihuana beispielsweise in Altersheimen zur Eindämmung von Alzheimer genutzt wird, die Chancen für ein solches Vorhaben vermutlich ungleich größer sind als beispielsweise in der Bundesrepublik).
Die Wahl selbst sprengte dann tatsächlich noch einmal alle Erwartungen: Sämtliche ausländischen Journalisten hatten sich auf der Wahlparty der Beit HaYehudi eingefunden, da die Prognosen auf einen großen Sieg der Rechtskonservativen hingedeutet hatten. Doch als die ersten Hochrechnungen bekannt wurden, sah es plötzlich nach einem großen Überraschungserfolg des Newcomers Yesh Atid aus. Richard C. Schneider von der ARD, wie immer um offene Berichterstattung bemüht, klärte die Zuschauer sogleich darüber auf, man versuche, die Liveschaltung in Lapids Quartier verlegen - ein Unternehmen, das sich schließlich als nicht durchführbar herausstellte, da kein einziger Satellit für ausländische Fernsehsender zur Verfügung stand, der ein solchen Vorhaben ermöglicht hätte.
Welch ein Erfolg für das Volk, für die Mittelschicht, die zu Gunsten von militärischen Ausgaben jahrelang vergeblich auf soziale Reformen gewartet hatten. Nun würde alles anders werden!
Soviel zur Stimmung der letzten Wahl. Eine große Koalition wurde gebildet (wie der Deutsche Bundestag ist auch die Knesset ein Parlament, dessen Sitze nach einem prozentualen System zugeordnet werden), Bibi Netanjahus Likud, weiterhin stärkste Partei und damit Sicherung seines Status' als Regierungschef, der religiösen "Yisrael Beteinu" (Israel unser Zuhause) und Bennets Beit Hayehudi gelang dank Koalition zwar trotzdem eine rechte Regierungsbildung; dennnoch sehen sie sich durch den großen Sieg von Yesh Atid einer deutlichen Opposition gegenüber, angeführt von Avoda, der Arbeiterpartei, die seit der Staatsgründung bis in die Siebzigerjahre hinein jede Wahl im sozialistisch geprägten Israel gewonnen hatte, deren Profil aber deutlich an Kontur verloren hat, sowie eben Yesh Atid.
Doch die sozialen Reformen blieben aus, ein weiterer Krieg folgte, auf beiden Seiten starben Menschen, antisemitische Stimmungen schwappen aus Europa herüber und mit ihnen tausende neuer Einwanderer aus Frankreich und anderen Ländern - die Stimmung, voller Hoffnung und Kampfgeist, wurde langsam aber sicher erstickt von einer neuen Welle der Resignation, und frühere Verfechter der Zweistaatenlösung, die 2013 noch Meretz gewählt hatten, liebäugeln plötzlich mit Netanjahus Alteherrenpartei Likud.
"Die Gebiete" sind auch weiterhin nicht mehr das zentrale Thema von Wahlen; man müsse die Dämonen doch auch mal ruhen lassen, heißt es von vielen Seiten. Wie aber soll das gehen, wenn besagte Dämonen weiterhin quicklebendig sind, alte Feindschaften wieder aufblühen, sich im Norden des Landes ein neuer Konflikt anbahnt, der letzte Gazakrieg von nationalen und internationalen Organisationen aufs Schärfste verurteilt wird und Angst und Hass den Blick nach rechts doch umso mehr erleichtern?
Noch gibt es einige, die Aufbegehren, die Probleme beim Namen nennen und die Dämonen der anderen Seite beschwören (So etwa MK Stav Shaffir von der Arbeitspartei vor Kurzem). Trotzdem prophezeien selbst Optimisten (die sich den Pessimisten zur Zeit so sehr annähern wie seit der zweiten Intifada nicht mehr) einen deutlichen Wahlsieg der rechten Parteien am 17. März. Und auch sie wird das süffisante Lächeln eines erneut gewählten Bibis auf den Titelseiten nur zu einem resignierten Kopfschütteln veranlassen.
Und doch, zum Schluss, wenigstens eine kleine gute Nachricht zu den Wahlen: Es scheint, als stehen die Parteien der arabischen Minderheiten vor einem historischen Zusammenschluss, der ihnen möglichweise endlich mehr Mitentscheidungsrecht im Parlament einräumen wird - die muslimischen oder christlichen arabischen Israelis, immerhin etwa 30 % der Bevölkerung machen deutlich weniger von ihrem Wahlrecht Gebrauch, und die Splitterung der arabischen Parteien untergräbt deren Einfluss zusätzlich (die Bewohner der Palästinensischen Gebiete haben bei der Wahl zum Knesset natürlich kein Wahlrecht).
Und hier noch ein ganz guter Artikel über den dreckigen Wahlkampf selbst!