Das Praktikum ist tot, es lebe Erasmus!
Johannson hat sein Praktikum in Wroclaw beendet und jetzt steht das Erasmussemester in Lodz vor der Tür. Der Umzug hat mit einigen Schwierigkeiten funktioniert, aber noch ist er skeptisch, ob die neue Stadt auch das Richtige für ihn ist.
Das dritte Mal letzte Sachen im Ausland, doch endlich, endlich geht es danach nicht mehr zurück. Sondern nach Lodz, zum Auslandssemester. Der letzte Tag im Praktikum, ein neues Mädchen fängt gerade an. Wir trinken Tee und verschicken Mails. Man lädt zur finalen Auswertung, mein Bauch schmerzt wohl nicht nur vom Kasza zum Mittag. Praktikantenkitsch: die Chefin fand einen weit besser als man selbst. Ohne zu viele Sentimentalitäten schaffe ich es aus dem Büro, treffe zum letzten Mal ein Tandem.
Hilfe zur Selbsthilfe
Mit Adriana werfe ich den Akkordeonspielern am Markt endlich etwas Geld in die Tasche, dann zum letzten Mal zur Lieblingsbäckerei, mich auch von der Bäckerin verabschieden. Mein Bauch rumort noch, darum geht es auf Empfehlung das Sarah ausprobieren, ein gesetzteres und leereres Lokal neben der Mleczarnia an der Synagoge. Der Tee tut sein Werk und wir gehen ins Manana, etwas Richtiges trinken. Dazwischen ruft die Vermieterin an, ein neuer Bewohner stünde mit falschen Schlüsseln vor der Tür, ob ich helfen könnte. Aber nicht mitten im letzten Tandem. Ich zögere so lange raus bis der gute Herr herausfindet, dass die Schlüssel nur richtig benutzt werden müssen. Am letzten Abend geht man nicht früh nach Hause.
Einige Stunden später ist Schluss. Adriana zur Straßenbahn gebracht, dann mit dem Rad noch mal zur Arbeit, über den Markt, Richtung Bahnhof, nach Hause. Einmal mehr im Dunkeln von einer Stadt Abschied genommen, etwas merkwürdig doch, aber kein Problem. Nie war es so leicht, denn es geht nur weiter, nicht zurück.
Umziehen auf Polnisch
Natürlich fange ich am nächsten Morgen zu spät an zu packen, wische im Rausrennen marginal Staub, wuchte die Sachen in den Fahrstuhl. Nur den Bus nicht verpassen. Zuerst das Fahrrad raus geschafft, dann umgedreht um den Koffer zu holen, und mit dem Einrasten der Tür erinnere ich mich, dass ich die Schlüssel ja schon abgegeben habe. Noch 20 Minuten, leichte Panik. Zum Glück erreiche ich meine Vermieterin, die ruft den neuen Mitbewohner an, diesmal muss ich reingelassen werden. Auf dem Rad mit dem Riesenkoffer im Schlepptau erreiche ich den Bahnsteig zeitgleich mit dem Bus. Auch schön: anders als von der Frau von der Information erfahre ich: Fahrrad hat nicht Platz. Nicht mal die Hälfte der Tagesstrecke gefahren und die Gepäcklager sind schon voll. Was will die ganze Bande in Lodz. Will doch sonst keiner hin.
Eineinhalb Verbrechen
Zum Anschließen und Zurückkommen habe ich doch keine Lust, also Notfallplan Eisenbahn nebenan. Es gibt sogar eine direkte Verbindung... in drei Stunden. Etwas Zeit zum Arbeiten, das Cafe Voyage bietet Steckdosen für den Laptop und Phil Collins für den Wahnsinn. Der Tee ist fast genauso geschmacklos wie er, aber leider nicht so billig. Dafür spendet der FastFood Laden nebenan gratis Internet durch die Wand, besser als die Deutsche Bahn auf ihrem Hauptbahnhof. Auch der Zug ist schon voll, aber ich erwische einen Platz im Raucherabteil, in dem kaum einer raucht oder dafür nach draußen geht... ist so was in Polen überhaupt erlaubt?
Durch Nacht und Wind
Nach einer Fahrt mit netten Bekanntschaften, rein dekorativen Steckdosen und Asterix Filmen wuchte ich in Lodz Koffer und Rad die Treppchen wieder runter auf den Bahnsteig. Meine „Mentorin“ Asia steht schon bereit, per Auto alles zum Wohnheim zu fahren. Nur für das Rad ist kein Platz, sodass ich die langen, geraden Straßen dieser Stadt aus dem Reißbrett schätzen lernen darf. So schnell konnte man in Wroclaw fast nie fahren. Natürlich ist es auch nicht so schön und lebendig wie dort, und erst der Morgen wird zeigen, ob die Dunkelheit den Eindruck besser oder schlechter macht.
Ersatz-Polen
Im Wohnheim melde ich mich bei der Rezeption und wenn mich nicht alles täuscht, habe ich mit der Pförtnerin Kraft der Sprache gleich Freundschaft geschlossen. Andere müssen ihren Studentenausweis vorlegen, mir wird ohne Fragen gleich der richtige Schlüssel hingelegt. Dazu durfte ich mir einen Mitbewohner aussuchen: gewonnen hat ein noch einzutreffender Slowake. Denn wie ich in Leeds lernte ist das sprachlich fast so gut wie echte Polen.
Warten auf den Morgen
Bis zuletzt hatte ich Vorbehalte gegenüber den Erasmuslern, aber auf unserer Etage ist es überraschend ruhig. Keine schmutzigen spanischen Lieder, keine Leute auf allen vieren. Wir stellen das Gepäck nur ab und laufen etwas über den Campus. Der anwesende Supermarkt hat weit weniger offen als bisher gewohnt, schlägt dafür auf der Sozialismus-Skala jeden leeren Dorfkonsum. In der schlechtesten Pizzeria der Welt sprechen wir kurz den Plan für morgen ab, am Donnerstag gehen wohl schon die Vorlesungen los.
Mit Fahrrad, Unterkunft, Ortskenntnis und Bekannten kann ich hier schnell in die Gänge kommen. Trotzdem bin ich noch nicht sicher, ob mich das „echt Polen“ wirklich so interessiert, dafür Erasmus nicht in Wroclaw oder Torun zu verbringen. Ob sich unter der grauen Oberfläche wirklich etwas Neues verbirgt, oder ob ich mir hier nicht ein zweites Magdeburg ausgesucht habe.
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