Das Meetingpoint- Projekt: Wenn Belgien nicht aktiv wird, dann eben die Freiwilligen!
Ein Bericht über ein von (ehemaligen) Freiwilligen initiiertes Projekt, das beweist, dass es gemeinsam möglich ist, das zu erreichen, was sonst aufgrund landesspezifischer Gegebenheiten unmöglich wäre.
Belgien ist ein sehr kleines, aber auch sehr kompliziertes Land. So gibt es, im Gegensatz zu beispielsweise Deutschland nicht nur eine, sondern drei verschiedene Nationalagenturen, die für die Europäischen Freiwilligen verantwortlich sind:
Eine für den flämischen, eine für den französischsprachigen und dann noch einen für den eher winzigen deutschsprachigen Teil. Ebendieser Teil hat knapp 80.000 Einwohner und es arbeiteten 2013/2014 momentan vier Volontäre dort.
Und weil diese drei Teile eben ihre eigene Nationalagentur haben, gibt es dann auch drei verschiedene On-Arrival und Midterm-Trainings. Die Tatsache, dass es generell verschiedene Trainings gibt, weil es in dem Land einfach zu viele Volontäre auf einmal gibt, ist ja an sich nichts Ungewöhnliches.
Im Jahrgang 2013/2014 waren in Belgien ungefähr achtzig Freiwillige. Natürlich wäre es bei einem gemeinsamen Seminar logistisch sehr schwierig, so viele Freiwillige auf einmal unterzubringen und man würde sich in der kurzen Zeit auch nicht so gut kennen lernen können.
Allerdings ist es für alle Nicht-Belgier, die die Freiwilligen ja alle sind, sehr eigenartig, dass die Freiwilligen einfach wie durch unsichtbare Grenzen getrennt sind als ob sie in drei unterschiedlichen Ländern arbeiten würden.
Ganz absurd wird es dann bei den Freiwilligen in der zweisprachigen Stadt Brüssel. Die meisten haben ihr von der französischsprachigen Nationalagentur, dem BIJ, organisiertes On-Arrival in einer französischsprachigen Stadt, aber dann gibt es einige, die in niederländischsprachigen Projekten arbeiten, die dann an den von der Nationalagentur Flanderns, JINT, organisierten Trainings teilnehmen.
Das störte mich ziemlich. Und da war ich nicht die Einzige. Zwischen September 2013 und Dezember 2013 hatten die meisten flämischen Freiwilligen den französischen Teil noch nie besucht und die meisten französischen Freiwilligen übernachteten in Jugendherbergen, wenn sie im flämischen Teil unterwegs waren.
Und was war mit den drei Freiwilligen im deutschsprachigen Teil? Die hatten ihre Trainings mit den Luxemburger Freiwilligen zusammen.
Dieses Problem schilderte ich einem belgischen Ex-Freiwilligen aus Liège (Eine Stadt in der Wallonie, zu Deutsch „Lüttich“), der einen Freiwilligendienst in Österreich absolviert hatte. Dort hatte er viel Zeit mit einem Freiwilligen verbracht, der aus Gent, einer Stadt in Flandern kommt. Die beiden hatten sich vor ihrem Dienst nicht gekannt, weil ihre Pre-Departure-Trainings natürlich auch von den verschiedenen Nationalagenturen organisiert wurden. So wurde unser Projekt geboren, dessen Ziel es ist, den Freiwilligen in ganz Belgien die Möglichkeit zu geben, einander kennen zu lernen.
Es begann mit einem ersten inoffiziellen Treffen. Der belgische Ex-Freiwillige und ich waren mit einigen Volontären aus dem französischen Teil in Gent unterwegs. Und alle diese Freiwilligen schliefen in einer Jugendherberge in Gent. Ich hatte eigentlich bei einer Freundin in Gent schlafen wollen, aber sie hatte dann doch keine Zeit und so beschloss ich, einfach mal herumzufragen, ob es denn einen Freiwilligen in Gent gebe, der mich für eine Nacht aufnehmen könnte. Und den gab es auch.
Aber nicht nur das. Er lud, obwohl er niemanden von uns kannte, unsere ganze, nicht allzu kleine Gruppe spontan zu sich nach Hause ein, wo er mit einigen anderen Freiwilligen Essen gekocht hatte. So verbrachten wir einen Abend regen Austausches und Kennenlernens bei ihm. Weiterhin erstellten der belgische Ex-Freiwillige und ich eine Liste, in der alle Freiwilligen ihren Namen, ihre E-Mail-Adresse, ihren Wohnort in Belgien und wie lange sie noch in Belgien bleiben werden, eintragen konnten. 60 Freiwillige und in Belgien gebliebene Ex-Freiwillige trugen sich in diese Liste ein.
Daraufhin begannen die beiden Ex-Freiwilligen und ich zu überlegen, wie wir die Freiwilligen noch besser zusammen bringen könnten. Wir beschlossen, das Projekt der flämischen Ex-Freiwilligenorganisation „Meeting Point“ weiterzuführen. Diese hatte regelmäßig Aktivitäten für belgische Ex-Freiwillige und Freiwillige des flämischen Teil Belgiens organisiert, wie Kanu fahren, Wandern oder Partys.
Ziel war es dabei, dass die Ex-Freiwilligen noch einmal von dem internationalen „EVS-Spirit“ profitieren können, die Freiwilligen sich untereinander und auch Belgier kennen lernen sowie dass alle zusammen Belgien besser kennen lernen und natürlich viel Spaß zusammen haben können.
Seit zwei Jahren gab es aber keine Aktivitäten mehr. Unsere Idee war es nun wieder solche Aktivitäten zu organisieren, aber nun mit den Freiwilligen aus ganz Belgien. Da Belgien ein Land des Karnevals ist, bot sich diese Gelegenheit für eine erste offizielle Aktion perfekt an. Zwanzig Minuten von Brüssel entfernt und somit für alle Freiwilligen gut zu erreichen, liegt das Städtchen Aalst, in dem jedes Jahr ein Karnevalsumzug stattfindet, der seit 2010 sogar Teil des UNESCO-Weltkulturerbes ist. Dieser Karneval wurde schon vor 600 Jahren ins Leben gerufen.
Er geht über vier Tage, samstags wird der Karnevalsprinz gewählt, der symbolisch als Bürgermeister der Stadt ausgerufen wird, am Sonntag findet einen mehrstündiger Umzug statt, montags tanzen die „Aalster Gilles“ (Aalster Narren) einen Besentanz, um die Geister zu vertreiben und bitten den Wettergott um eine gute Ernte. Es wird mit Zwiebeln geworfen, da Aalst als die Zwiebelstadt bekannt ist. Zudem gibt es einen Umzug namens „Voil Jeanetten“ (Dreckige Jeanette), von als Transvestiten verkleideten Leuten.
Dienstags wird dann die Karnevalspuppe verbrannt.
Beim Umzug laufen etwa 80 Gruppen mit. Im Gegensatz zum traditionellen Karneval in Binche oder Malmédy ist der sonntägliche Umzug beim Aalster Karneval, ähnlich dem Kölner Karneval ein eher politischer Karneval, der auf zahlreiche wichtige Ereignisse ironisch und karikativ Bezug nimmt, wie die Europawahl 2014 oder interessanterweise auch das Koma Michael Schuhmachers.
Als Gruppe von etwas mehr als 20 Leuten, die Hälfte aus dem flämischen Teil und die andere Hälfte aus dem französischsprachigen Teil nahmen wir an diesem bunten, verrückten und fröhlichen Kulturereignis teil, sei es verkleidet als Clown, Mexikaner, Zweiohrküken und Keinohrhase oder mit venezianischen Masken. Der nächste Ausflug ging in die westbelgische Stadt Ieper (Ypern), eine vor allem während des ersten Weltkrieges stark umkämpfte Stadt Belgiens.
Ein ehemaliger Ex-Freiwilliger und Mitglied des Organisationsteams von Meetingpoint gab eine historische Stadtführung. Danach besuchten die Freiwilligen entweder das Museum „In Flanders Fields“, ein Museum über den Ersten Weltkrieg, das zu seinem 100-jährigen Jubiläum gleich noch interessanter und aktueller war oder genossen die wunderschöne Altstadt in der prallen Maisonne.
Gemeinsam wurden sie Zeuge eines weiteren Weltkulturerbes, nämlich der seit 1928 stattfindenden „Last-Post-Zeremonie“ unter dem Menin-Tor-Denkmal in Ypern. Dort veranstalten jeden Tag um 20 Uhr Ehrenamtliche einen Zapfenstreich mit Blasmusik um den im ersten Weltkrieg gefallenen Opfern zu gedenken.
Weitere organisierte Ausflüge waren eine Kanufahrt an der Lesse, einem im Süden Belgiens gelegenen Fluss, ein Ausflug zum traditionellen Fest des Dou-Dous in der wallonischen Kleinstadt Mons, wo der Drachenkampf des heiligen Georg dargestellt wird und zum Gentse Feesten, einem zehntägigen Musik- und Straßenkunstfestival in Gent. Durch die gemeinsame Facebook-Gruppe und die E-Mail-Liste konnten sich die (Ex-)Freiwilligen aber auch abseits der Meetingpoint-Treffen austauschen, kennen lernen und treffen.
Leider ist einer der Hauptaktiven momentan in Paris, ich bin wieder nach Deutschland zurückgekehrt, andere sind gerade zeitlich sehr eingebunden oder im Ausland, weshalb die Verbliebenen des Teams noch händeringend nach Interessierten suchen um das Projekt weiterzuführen. Möglicherweise kann es nach einer kurzen oder längeren Pause weitergeführt werden, ansonsten war es einfach nur ein sinnvolles und erfolgreiches für die Freiwilligen der EVS-Jahrgänge 2013/2014 und teils auch 2014/2015.