Das geheime Londoner Wohnzimmer
Tictac, tictac...
Das Leben und die Menschen in London sind weltweit für ihre Vielfalt und Kreativität bekannt. Wie wohl an keinem anderen Ort fällt hier die Anzahl verschiedener Subkulturen und gleichzeitig die Präsenz einzigartiger Individuen auf. Hier kommen Menschen mit Ideen zusammen, die die Trends von morgen entstehen lassen.
Ein Beispiel für diesen vibrierenden Lifestyle Londons ist das geheime Wohnzimmer im Londonder Nordosten. Dieser behütete Platz ist zwar nicht geheim genug, als dass er keine eigene Facebook-Page hätte, aber dennoch erfordert es Insiderwissen, um ihn überhaupt zu finden. Vor einem großen Eckcafe, das alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, befindet sich das unauffällige Wohnhaus. Beim Klingeln muss man dann exakt den Ort benennen, an den man gelangen möchte. Die Wahrscheinlichkeit, einfach vorbeizulaufen, ist dementsprechend hoch.
Im ersten Stock angekommen, wird man von einem Freiwilligen begrüßt, der einen entweder herzlich mit Umarmung zum Wiedersehen begrüßt oder einfach nur herzlich zur ersten Begegnung empfängt. Um ins Wohnzimmer eingelassen zu werden, müssen erst der Vorname und die minutengenaue Uhrzeit auf ein Zettelchen eingetragen werden. Dieser wird dann an eine Leine geklemmt, die quer über den Eingangsbereich gespannt ist. Das Besondere an diesem Platz ist nämlich, dass die Gäste nicht für ihren Cappuchino und Kuchen, ehm Chai Latte, Ingwer-Smoothie und veganen Kuchen zahlen, sondern für die Zeit, die sie hier verbringen. Pro Minute macht das 5p. Die Gäste sollen sich nicht wie anderswo üblich gedrängt sehen, etwas zu kaufen, sondern sich sozusagen als „micro-tenant“ einfach wohlfühlen und das machen, wonach ihnen ist.
Der russische Gründer Ivan Meetin berichtet, dass das Wohnzimmer als Baumhausprojekt für Erwachsene in Moskau startete. Eine Gruppe von Dichtern nutzte diesen Platz für ihr Schaffen, doch da das Baumhaus zu beliebt und damit zu voll wurde, sah sich Meetin gezwungen, weitere Plätze aufzubauen. Die Idee des lockeren und freien Zusammentreffens lebt auch heute in den mittlerweile 14 Wohnzimmern weltweit weiter. Sie dienen als Kulturzentrum, Veranstaltungsort, co-working area und als sozialer Treffpunkt. Die einzige Regel ist es, den Platz und die anderen Gäste zu respektieren. „Our mission is to create a place conducive to people to feeling free, devoid of the pressures of modern living.”
In der Londoner Filiale gibt es allerhand zu entdecken. In der Musikecke laden ein Klavier, eine Querflöte und zwei Gitarren zum Spielen ein. Daneben erstrecken sich Bücherregale mit vielen Sektionen wie Philosophie, Kunst, Reise usw. Am anderen Ende des Wohnzimmers, welches mit Stühlen und Tischen aus verschiedenen Materialen, Farben und Zeiten möbliert ist, befindet sich die Küche. Dort kann man sich kostenlos an Keksen, Kuchen, Müsli, Tee und Kaffee bedienen. Wie im Rest der Wohnung weisen kunstvoll zurecht geschnittene braune Pappschilder mit schwarzer Schönschrift auf verschiedenen Dinge hin: Etwa wo der Spülschwamm ist („This is a sponge“) und welcher Tee besonders empgehlenswert ist („Trust me and try this one“). Am Kühlschrank kann man mit kleinen Magneten Nachrichten formen, die dann möglicherweise als „Quote of the Week“ erkürt wird. Im daneben liegenden Ruheraum steht eine Liege, auf die man sich zurück ziehen kann, wenn man einfach mal abschalten möchte.
An den Wanden lassen sich einige Zettel finden, die einen zu verschiedenen Dingen befragen: „Add 3 things you are grateful for“, „Something that you will do this week for someone else“ oder „Something that you appreciate in this world“. Auf den Blättern herrscht echter Platzmangel, denn die Gäste lieben es hier und das merkt man. Ich werde definitiv zurückkommen und diesen einzigartigen Platz genießen. Eindrücklich und sehr charakterisierend für die Stimmung fand ich folgende an eine Wand geklebte Nachricht: „In this place howareyou means how are you?“.