Concierto en Bolea
Kaum bin ich wieder richtig zurück gekommen, wartet auf mich schon ein tolles Ereignis, das erste Konzert mit dem Orfeón Reina de los Mallos. Wir singen Weihnachtslieder.
Ganz früh hab ich mir den Wecker gestellt, um auf gar keinen Fall eine Information über die Mitfahrgelegenheiten zu verpassen. Ich gucke meine E-Mails und siehe da, eine Rundmail, die Sänger mit Auto daran erinnert, um halb 5 an der Schule in Ayerbe vorbeizufahren und Leute ohne Auto mitzunehmen. Also habe ich noch unendlich viel Zeit und schlüpfe wieder unter die schon nicht mehr warme Bettdecke. Merkwürdiges Tapsen weckt mich einige Stunden später wieder - es ist wohl Laetitia, die frisch geduscht aus dem Bad kommt. Mein Frühstück stellt schon wieder einen Teil des Alltags dar, den ich mir in den vergangenen 4 Monaten angewöhnt habe: Müsli mit Obst. Während ich darauf achte, kleine Portionen auf den Löffel zu nehmen und langsam zu kauen, um schneller satt zu werden, blättere ich ein vegetarisches Kochbuch durch. Viele tolle Ideen, leckere Rezepte, die ich uns beiden kochen werde. Überhaupt haben wir beide an unsere Küche gedacht und Ergänzungen der Ausrüstung mitgebracht: eine Schürze, ein Schneidebrett, ein Schneebesen, das besagte Kochbuch, ein Kochbuch mit karibischen Gerichten, Puddingförmchen, ein Kochhandschuh und neue Geschirrhandtücher. José Luis hat uns einen Wunsch erfüllt und uns ein altes Geschirrabtropfbrett mitgebracht.
Nach dem Frühstück gehe ich an die Hautpflege, bei der eigentlich nichts mehr schief gehen kann, hat mich meine Mutter doch mit Masken, Waschgels, Cremen und guten Ratschlägen ausgestattet. Einzig hängt es noch an meiner Kontinuität, jeden Morgen und jeden Abend zu reinigen und zu cremen. Aber ich bin wild entschlossen, meinen Pickeln den Kampf anzusagen! Schon längst bin ich versöhnt, beim Zimmerlosen das kleinere abbekommen zu haben, denn vielfach werde ich mit viel Sonne verwöhnt, beim Aufstehen, nachmittags, wenn ich auf meinem „neuen“ Sessel sitze und die mitgebrachte, deutschsprachige Lektüre genieße. Klein, aber fein ist es, mein Zimmerchen. Zu Mittag machen wir Couscous, schnell und einfach mit Tomate und Zucchini, das neue Lieblingsgemüse von Laetitia. Sie packt es jeden Einkaufstag wie selbstverständlich in den Wagen.
Kurz vor vier ziehe ich mich an, schwarze Strumpfhose, schwarzes Kleid, schwarzer Pulli und richte meine Tasche mit den Noten und der Auftrittskleidung. Wie schön, dass ich sogar meine Lippen ein bisschen anmalen kann, ich hab nämlich Lippenstift mitgebracht, weil das hab ich doch unerwartet vermisst im letzten Jahr. Laetitia ist so nett und leiht mir ihre Stiefel, die meinen schwarzen Ganzkörperlook komplett machen. Wir laufen zur Schule und werden von Maria-Ángel, der Frau am Klavier mitgenommen. In Bolea werd ich erst mal umarmt und geküsst und mit Neujahrswünschen überschüttet. Wie schön, dass ich da bin! Wir tragen das Keyboard und die Schild mit dem Chornamen in die Kirche. Hinter einer Säule, im Chorraum ziehen die Frauen sich um: über die schwarzen Hosen kommt ein bodenlanger schwarzer Rock und über den Kopf ein rosarotes, fast durchsichtige Tuch, in dessen Mitte ein Loch ist und das angezogen wird wie ein Poncho. Immer wieder kommt eine der anderen Frauen her und rückt mir das Tuch gerade, mit Susi tausche ich sogar den Rock, weil ihrer besser zu meinen langen deutschen Beinen passt.
Einmal kurz die Aufstellung geprobt, ein paar Lieder angesungen, dann ein Abgang in die Sakristei und dann geht es auch schon los. Mappe in die rechte Hand und auf Kommando aufschlagen, ordnet Juan, der Dirigent, noch an, die klatschen schon die ersten, als wir hinauslaufen und uns vor dem Altar aufstellen. Juan wirkt nervös, als er vor dem Publikum den Chor „Orfeón Reino de los Mallos“ vorstellt und mich sogar namentlich als „Elena de Alemania“ vorstellt. Toll, fast ein internationaler Chor. Wir singen und mir wird sogar die große Ehre zuteil, beim zweiten Lied mit der Kuhglocke zu klingeln. Juan lächelt mir stolz zu. Laetitia macht Fotos mit meiner Kamera und runzelt kritisch die Stirn. Beim letzten Lied „Feliz Navidad“ schwingen alle fröhlich mit und setzen Nikolausmützen auf. Der schnauzbärtige Mann aus der ersten Reihe kommt nach vorne und dröhnt lauthals mit. Noch zwei Zugaben, dann treten wir wieder ab und legen in der Sakristei die Kleider ab. Schließlich wird alles zusammen gepackt und wir machen uns auf ins Rathaus, wo es gleich noch eine „Merienda“ gibt, also eher verspätete Kaffeepause. Eilig machen sich einige Frauen daran, zwiebackähnliches Brot mit Tomatensoße zu bestreichen und mit Sardinen und schwarzen Oliven zu belegen. Jemand bringt einige Stangen Baguette und nachdem man endlich ein Messer aufgetrieben hat, wird dieses in Stücke geschnitten, wieder mit Tomatensoße bestrichen und dann mit Schinken belegt. Meine Aufgabe ist es, den eingeschweißten Schinken auseinander zu popeln. Noch weiß keiner, dass ich Vegetarierin bin, aber das Schinken-Bocadillo, das man mir in die Hand drückt, lege ich wieder zurück. Ich halte mich dann doch an die Sardinen-Toasts und an die köstliche Tortilla de patatas, die natürlich auch nicht fehlen darf.
Ich weiß, warum es diese Art von Zusammensein und Essen in Deutschland nicht geben würde: man würde sich nur darüber beschweren, dass es immer an denselben hängen bleibt, an alles zu denken, zu helfen, alles vorzubereiten. Hier bringt einfach jeder was mit und alle helfen und halten die Klappe. Zum Nachtisch gibt es drei sahnegefüllte Dreikönigstorten. In der Mitte befindet sich eine Pappkrone, die sich derjenige aufsetzen darf, der in seinem Kuchenstück ein Bonbon findet. Das soll für das kommende Jahr Glück verheißen, wenn man der „König“ ist. Derjenige jedoch, der einen Mandelkern findet, ist der arme Tropf, der im Jahr darauf das Fest zahlen muss. Die arme Fina hatte im ersten und zweiten Tortenstück den Kern. Eigentlich wollte ich ja den fetten und süßen Speisen abschwören, aber Susi meint: Das neue Jahr fängt erst morgen an. Fantastisches Argument.
Um neun fahren wir mit Maria-Ángel wieder zurück nach Ayerbe und beschließen daheim, noch eine der DVDs zu gucken, die ich mitgebracht habe, extra mit französischer Version oder Untertiteln. In meinem kleinen, feinen und allzeit warmen Zimmer machen wir es uns gemütlich und gucken zweieinhalb Stunden lang großes französisches Kino. Kann man nicht immer machen. Aber morgen ist Montag und da haben wir frei. Das sollte man doch feiern, wer weiß, wann man sonst einmal wieder Zeit hat, zweieinhalb Stunden Filme zu gucken.