Brief aus mir
"Heute morgen gegen acht Uhr wurde ich geweckt, weil sich eine winzige Hand liebevoll um meinen kleinen Finger schloss." Das Lächeln eines kleinen Mädchens gibt Frauqui einen Anstoß, über Glück nachzudenken.
{Diesen Brief habe ich morgens am internationalen Flughafen Otopeni in Bukarest an meiner besten Freundinnen geschrieben. Ich hoffe, dass dieser Brief auch für andere ein kleiner Denkanstoss sein kann...}
Liebste Anni!
Heute morgen gegen acht Uhr wurde ich geweckt, weil sich eine winzige Hand liebevoll um meinen kleinen Finger schloss. Ich öffnete die Augen und sah ein kleines Mädchen mit braunen Haaren und grünen Augen in einer pinken Jacke, das mich anlächelte und wieder meinen riesigen kleinen Finger in ihre walnussgroße Faust nahm.
Die Leute warten immer auf große Wunder und nehmen die wundersamen kleinen Eigenheiten der Welt, in der sie leben, gar nicht mehr wahr. Die Frau, die vor einer Holzbaracke ohne Strom und fließendes Wasser steht, die sie ihr Zuhause nennt, und dich reiches Mädchen aus dem Westen trotzdem noch anlächelt, mit einer Intensität und Wärme, die kein Millionär der Welt je besitzen kann. Der struppige Straßenhund, der dich begleitet, wenn du in einer schlaflosen Nacht durch das Industriegebiet streifst. Das kleine Mädchen mit den grünen Augen, das von allen Menschen am Flughafen Bukarest Otopeni dich auswählt.
Denk mal an etwas, das du dir so sehr gewünscht hast, dass du an nichts anderes denken konntest. Sagen wir, eine CD von deiner damaligen Lieblingsband, besonderen Schmuck, ein einmaliges Kleidungsstück, was auch immer. Du hast dich fruchtbar gefreut, als du es dann endlich bekommen hast. Aber macht es dich nach vier Wochen, nach zwei Monaten, nach einem Jahr immer noch glücklich?
Und jetzt erinnere dich an einen wunderschönen Moment in deinem Leben, der vielleicht zwei oder drei Jahre her ist. Ein Kompliment, ein liebevolles Lächeln, ein echter Kuss, ein Lachen im Regen. Macht es dich nicht immer noch Lächeln, nach all dieser Zeit!?
Leider ist es nicht immer so einfach. Stammen nicht einige deiner glücklichsten Erinnerungen zum Beispiel aus Chile? Aus einem Urlaub auf Mallorca? Einer internationalen Begegnung?
Ich wei?, wovon ich spreche - ein weiteres Mal sitze ich jetzt am Flughafen und warte auf den Startschuss für ein weiteres Abenteuer. Natürlich kaufe ich mir kein Glück, aber ich kaufe mir die Möglichkeit, Erfahrungen zu machen, und in aller Regel geht für mich daraus Glück hervor.
Kann man glücklich sein, wenn man krank ist? Kann man Freunde empfinden, wenn man immerzu Hunger hat?
Du hast Recht, wir leben in einer ungerechten Welt, einer Welt der Starken und Schwachen, und wir stehen voller Scham und Verachtung auf der starken Seite. Anni, es ist nicht unsere Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist - es ist nur unsere Schuld, wenn sie so bleibt! Und der erste Schritt ist, seine Werte zu erkennen. Anonyme Shoppingmalls voller bunter Kleider oder der freundliche Zigeunerjunge am Busbahnhof?
Manchmal, wenn ich auf Reisen bin, macht es mir richtig Angst, wie uniform unsere Welt schon geworden ist. In Tallinn bei McCafe stehe ich für meinen Cappuccino an, fünf Leute vor mir, alle zahlen per Kreditkarte. Ist DAS das Ideal unserer Generation, ein Jet-Set-Leben, blind durch die Welt reisen, alles anschauen, aber nichts sehen, essen bei McDonald's und Shoppen bei Armani, oder sagen wir, H und M? Hat das grenzenlose Leben uns in einen gesichtslosen Einheitsbrei verwandelt?
Vielleicht, wahrscheinlich sogar, bin ich paranoid, fürchte den Fortschritt, der unaufhaltsam voranprescht. Aber wenn ich in Rumänien die Bauern sehe, die das Gras von Hand mähen, und einen Apfel esse, der nach Apfel schmeckt, mit braunen Stellen und Löchern, dann kann ich nicht umhin, ein wenig nostalgisch zu werden. Wie viel schöner sind die schneebedeckten Gipfel der Karpaten als eine kunstvoll gestaltete Einkaufsgalerie!?
Stell dir vor, sie gäben Krieg, und keiner würde hingehen!
Stell dir vor, sie brächten Kleidung aus Kinderarbeit, und keiner würde sie anziehen!
Stell dir vor, sie fütterten Mastfleisch, und keiner würde es essen!
Stell dir vor, sie sagten Demokratie, und keiner würde es glauben...
Wir sind ALLE, wir sind KEINER - und wir sind SIE!!! Wir haben es in der Hand, jetzt, später. Die Politik hat versagt, ob Piraten oder Sozialisten, rechts, links, liberal, radikal, neutral. Niemand sagt was Neues, keiner glaubt an Altes, wir stehen rum wie Spielfiguren außerhalb des Spielbretts. Aber, um bei diesem Vergleich zu bleiben, wir sind eigentlich noch gar nicht am Zug gewesen! Warst du auf dem Spielfeld und wurdest geschlagen, nur zu, ruh dich aus, leck deine Wunden. Aber die Armee auf der Ersatzbank betritt das Schlachtfeld in der Regel gar nicht erst!
Erfolg ist eine Möglichkeit, Misserfolg eine andere, vieles dazwischen. Geh mal wieder auf die Strasse, geh mal wieder demonstrier'n, denn wer nicht mehr versucht zu kämpfen - kann nur verlier'n! Lasst euch nicht länger ruhig stellen von Zuckerbrot und Peitsche. Lasset die Spiele beginnen...
Deine Frauke
Der einzige Feind der FREIHEIT ist deine
Angst.
Kommentare