Bist du normal oder was?
Warum ich ein Problem mit der sogenannten Normalität habe
Zurück aus dem Urlaub. Die erste Nacht zurück in der Stadt, die ich nach wenigen Jahren mein neues Zuhause nenne. Es ist Montagabend und ich ziehe los in eine Nacht, die normaler nicht sein könnte für diese Stadt und für mich. Eine Dragshow mit Bauchtanzeinlage in einem glitzernden, verrauchten Raum mit viel pink und leuchtenden Farben dekoriert. Alle haben gute Laune, die Stühle sind bis auf den letzten Platz besetzt und bunte Cocktails mit Namen wie „Pussy Love“ werden serviert. Männer küssen Männer in Röcken. Frauen tragen ihre Haare kurz geschoren. Menschen hinterfragen ihr biologisches Geschlecht durch simple Veränderungen ihres Äußeren.
Ich komme gerade von einer kleinen Insel aus dem Mittelmeer zurück. Viel Küste, Schafe und Ziegen und kleine Bergdörfer prägen das Landschaftsbild. Das heiße Sommerwetter verlagert das Leben auf die Straßen, viel Wein und Schnaps wird getrunken, frisch geangelter Fisch in Tavernen serviert und zu späterer Stunde auch mal getanzt. Männer in Röcken und glitzernde Wände sucht man hier vergeblich.
Ich hocke auf dem Stuhl mit einem Pussy Love in der Hand in der Berliner Bar, den Kontrast dieser Bilder im Hinterkopf und spüre plötzlich, dass normal ein skurriles Wort ist. Es suggeriert meistens, das eine Abweichung davon etwas Schlechtes, irgendwie Ungesundes ist, mit dem man besser nichts zu tun haben möchte. Normalität bedeutet für die meisten Menschen allerdings etwas vollkommen anderes.
Als Frau in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung war ich bisher in Berlin in einer sozialen Blase, die mir einen Schutzwall von Normalität suggerierte, der mich vor Diskriminierung und Ausgrenzung schützte. Hand in Hand durch die Straßen der Großstadt mit einer Frau an meiner Seite zu ziehen, hat hier niemanden großartig interessiert oder bemerkenswertes Aufsehen erregt. Eine Normalität, die ich zu schätzen wusste, denn wer will sich schon gern für seine Liebe und Körperlichkeit in der Öffentlichkeit rechtfertigen müssen? Mit dieser Einstellung verließ ich für die Reise auf die Insel im Mittelmeer das erste Mal diese Blase und blickte hinter den Schutzwall meiner Normalität. Es war von vornherein irgendwie klar, dass dahinter die Dinge anders laufen werden. Nach vielen Blicken und Pfiffen und merkwürdigen zweideutigen Einladungen meist weißer, älterer Männer begannen meine Partnerin und ich uns in der Öffentlichkeit anders zu verhalten und möglichst zu vermeiden uns als Paar zu erkennen zu geben. Das erste Mal mit Diskriminierung konfrontiert zu sein war hart und zeigte mir, dass meine bisher gelebte und angenommene Normalität außerhalb der Grenzen der Großstadt völlig anders definiert wird.
Wie wäre es, wenn die Grenzen, was normal ist oder sein sollte etwas verschwommener wahrgenommen werden? Wie wäre es, wenn wir versuchen Akzeptanz und Respekt aufzubringen auch für die Menschen, die nicht in unserem Sinne normal handeln? Es lässt sich nicht immer auf einen Nenner kommen, aber ein gegenseitiger Dialog würde vielleicht für ein vorsichtiges Annähern sorgen und im besten Falle sogar für Verständnis. Es wäre doch immerhin besser, als von vornherein zu sagen: „Du bist nicht normal.“ obwohl man noch kein einziges Wort miteinander gewechselt hat. Natürlich kann man das Leben in einer kosmopolitischen Großstadt nicht mit dem in kleinen Dörfern auf einer Insel vergleichen, aber ich würde mir wünschen, dass wir uns nicht von ersten äußerlichen Eindrücken abschrecken lassen fremde Menschen kennenzulernen.