Bedingungsloses Grundeinkommen: Warum Arbeitslosigkeit kein Problem ist
Was würdest du tun, wenn du im Lotto gewinnst? Und was, wenn du jeden Monat einfach 1000€ zur freien Verfügung hast? Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens scheint manchen fast unheimlich, ist aber sehr vielversprechend.
Vergleicht man die Arbeitslosenquote in Deutschland und Portugal fällt einem zunächst nichts besonderes auf. In Portugal liegt sie bei 7,8% in Deutschland bei 3,6% (Stand Dez. 2017). Auch die Entwicklung seit 2013 ist in beiden Ländern regressiv. Ok, in Portugal ist sie mehr als doppelt so hoch, aber rechnet man die absoluten Zahlen aus, sieht Deutschland mit knapp 3 Millionen gegen 800.000 Portugiesen wieder ziemlich schlecht aus. Oder?
Arbeitslosigkeit ist ein negativ belegtes Wort. Keiner möchte arbeitslos sein und gerade für junge Menschen wächst deswegen auch der Druck, möglichst schnell einen möglichst guten Abschluss zu erreichen, um bei der Jobvergabe am Ende nicht mit leeren Händen da zu stehen. Der Grund dafür ist ja klar:
Ohne Job gibt es kein Geld
Dieser Satz ist ziemlich interessant. Es ist nämlich keineswegs so, dass es Arbeit ist, mit der man Geld verdient, sondern eben der Beruf oder die erwerbstätige Arbeit. Jede Mutter, der man erzählen würde, ein Kind großzuziehen wäre keine Arbeit, würde einem zu Recht einen Vogel zeigen. Das gleiche gilt für viele Verbände, wie Pfadfinder und Jugendgruppen, aber auch zum Beispiel für ehrenamtliches Engagement in Kirchen, Vereinen etc. Wir, also wir Freiwilligen, leisten ja einen Dienst, also eine Arbeit, ohne dafür bezahlt zu werden. Nun gut, wir kriegen natürlich Kost und Logis gestellt und ein Taschengeld, aber das Prinzip ist dasselbe. Der einzige Unterschied ist, dass man mit dieser Art von Arbeit eben nicht erwerbstätig ist. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wieso nicht?
Während sich viele Berufe entweder auf den Gewinn von Rohstoffen (in der Wirtschaft Primärsektor oder Urproduktion genannt) oder auf die Produktion und Verkauf eines Produktes aus diesen Rohstoffen (Sekundärsektor oder Industrieller Sektor) beziehen, gibt es noch einen dritten Teil, den tertiären Sektor oder Dienstleistungssektor. Dieser Sektor macht den Großteil des Arbeitsmarktes aus und wächst kontinuierlich, da bei steigender Produktion mehr und mehr Arbeitsplätze in den ersten beiden Sektoren automatisiert werden.
Natürlich gibt es auch im 3. Sektor bezahlte Berufe, aber gerade wenn die Arbeit eher der Gesellschaft als ganzes zugunsten kommt und der Staat nicht als Arbeitgeber einspringt (wie bei Beamten), ist eine Menge der Arbeit eben nicht bezahlt. Es ist nicht auf den ersten Blick klar, wo der Wert dieser Arbeit liegt, da ja niemand irgendetwas Materielles erhält oder direkt davon profitiert. Das ist sehr schade, da gerade diese Arbeit dadurch nicht weniger wert ist, im Gegenteil. Gerade weil von dieser Art von Arbeit alle oder viele profitieren, sollte sie auch bezahlt werden. Es ist fast so, als würde man um so schlechter bezahlt werden, je offensichtlicher die Arbeit anderen Menschen nutzt. Der Satz “Arbeit muss sich wieder lohnen!” stimmt, bezieht sich aber weniger auf Berufe und erwerbstätige Arbeit, sondern mehr auf freiwillige, soziale und solidarische Arbeit. Für dieses Problem gibt es eine Lösung. Naja eher einen Ansatz, bzw. eine Idee. Es ist nämlich nicht ganz klar ob es funktionieren würde, weil es einfach noch kein Land der Welt wirklich ausprobiert hat: Das bedingungslose Grundeinkommen.
Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE)
Die Idee ist ziemlich einfach: Jeder Bürger, nehmen wir jetzt als Beispiel mal Deutschland, würde ein monatliches Grundeinkommen bekommen. Über den Betrag wird sich natürlich, wie über alles in der Politik gestritten, aber es müssten so ungefähr 1000€ sein. Warum so viel? Es ist wichtig, dass das Grundeinkommen die Existenz absichert, also Essen, Wohnung, Sozialversicherungen etc., da nur so der Zwang zur Arbeit wirklich aufgehoben wird. Das ist ja momentan bei Hartz 4 wirklich nicht der Fall. Es gibt sogar Leute unter den Verfechtern des BGE, die sagen Hartz 4, mit seinen Auflagen, bürokratischen Zwängen, teilweise sinnlosen Zwischenbeschäftigungen, die einfach von Maschinen gemacht werden könnten und dem Verlust eines großen Teils der Privatsphäre verstoße gegen Artikel 1 des Grundgesetzes, was ja eigentlich die Grundlage unserer Gesellschaftsordnung sein sollte.
Eines der größten Probleme bei der Umsetzung des BGEs ist die mangelnde Auseinandersetzung der Leute mit dem Thema. Viele denken zum Beispiel, dass Leute, die mehr als 1000€ im Monat verdienen einfach am Ende nochmal 1000€ zusätzlich auf ihrer Gehaltsabrechnung stehen haben. Dem ist aber nicht so. Sie kriegen weiterhin ihr normales Gehalt ausgezahlt. Leute die weniger als 1000€ im Monat verdienen, kriegen dann den fehlenden Betrag dazu, also bei 500€ Gehalt nochmal 500€ vom Staat. Der Satz: “Dann würden ja einfach alle aufhören zu arbeiten” stimmt deswegen auch nicht, da viele eben gerne mehr verdienen wollen würden als 1000€ im Monat - gerade wenn sie das vorher schon gewohnt waren. Auch auf die Frage, was man täte, würde man im Lotto gewinnen, denn nichts anderes ist das BGE eigentlich, nur wird der Gewinn eben nicht auf einmal ausgezahlt, sagen die allermeisten nur, dass sie eigentlich so weitermachen würden wie bisher und bloß sorgenfreier im Leben wären. Wäre es nicht schön wenn das für jeden Realität werden könnte?
Es gibt eine interessante Umfrage der Zeitschrift brand eins: 90% der befragten Menschen würden mit einem BGE weiterarbeiten und nur 10% nicht. Der Anteil wiederum, der glaubt andere würden mit einem BGE aufhören zu arbeiten, liegt bei 80%. Was fehlt ist Vertrauen in die Gesellschaft oder Solidarität.
Das erste Gegenargument, auf das man unweigerlich stößt und das auch immer gerne angeführt wird, ist die Finanzierung. Doch es ist tatsächlich sehr einfach: Ex-Finanzminister Schäuble erwähnte in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, dass der deutsche Staat schon jetzt pro Jahr 1 Billionen Euro (das sind eine Eins und zwölf Nullen) für Sozialleistungen ausgibt. Das macht durch die Einwohner ein klein wenig mehr als 12000€ pro Bürger pro Jahr. Die Rechnung geht doch auf oder ?
Naja, hinter den Sozialleistungen stehen natürlich jede Menge Ämter, Büros, Arbeitsplätze und eben auch Menschen, die dann auf einmal ohne Job dastehen würden. Mal ehrlich, 80 Millionen monatliche Überweisungen schaffen ein paar Computer in ziemlich kurzer Zeit, da braucht man wirklich nicht mehr viele Leute.
Auf der anderen Seite würden sie natürlich durch das BGE abgesichert sein, und könnten das machen, was sie wirklich interessiert. Einer der größten Vorteile des BGE ist nämlich auch die Chance für jeden, sich persönlich zu entfalten, seine Interessen und Fähigkeiten zu verfolgen und auszuleben ohne die Sorgen über Zeitverträge, Arbeitslosigkeit und Existenzverlust. So hätten zum Beispiel viele Künstler, Musiker und Schriftsteller, die sich mit ihrer kreativen Arbeit noch nicht oder nur teilweise finanzieren können und deswegen mit Nebenjobs über Wasser halten müssen die Chance, ihr ganzes Potential in ihre Werke zu stecken. Es wird daher vermutet, sollte das BGE wirklich eines Tages Realität werden, dass es zu einem enormen kulturellen und kreativen Boom kommen wird.
Der Zwang zur Arbeit und die “Bullshit Jobs”
Es stellt sich auch die Frage, inwieweit es noch notwendig ist zu arbeiten. Neben dem bürokratischen Apparat der Sozialleistungen, der ja, angenommen das System würde funktionieren, wirklich fast komplett überflüssig werden würde, gibt es noch viele andere Bereiche, in denen es ähnlich aussieht. Durch die Industrialisierung, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, bis zur Digitalisierung, die ja immer noch andauert, wurden durchgehend Arbeitsplätze durch Maschinen und Computer ersetzt.
Natürlich entstehen auch neue Arbeitsplätze in Wartung, Bau und Instandhaltung, aber die Rechnung geht wirklich nicht auf. Erst Anfang Februar veröffentlichte der IT-Verband Bitkom eine Studie, nach der bis 2022 3 Millionen Arbeitsplätze der Digitalisierung zum Opfer fallen könnten. “Zum Opfer fallen”, das klingt als sei die Digitalisierung etwas schlechtes, dem man irgendwie entgegenwirken müsste, um keine Arbeitsplätze zu gefährden. Genau das endet dann in der konservativen, nicht am Fortschritt orientierten Politik, über die sich ja auch viele momentan beschweren. Aber anstatt einzusehen, dass Vollbeschäftigung, der heilige Gral der Volkswirtschaft, eben nicht nur unmöglich, sondern auch nicht notwendig ist, werden in vielen Ländern, u.a in Deutschland und Portugal oft Arbeitsplätze aus dem Nichts erschaffen. Ohne eine wirkliche Notwendigkeit oder billigere Alternativen, muss man kein Wirtschaftswissenschaftler sein, um sich die Folgen auszurechnen: Niedriglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen, in denen die Menschen oft 10 Stunden täglich arbeiten und denen sie nicht entkommen können, weil es keine Alternative gibt.
In meinem Dorf hier gibt es Mitarbeiter im Supermarkt, auch meistens junge Leute, die nach dem Kassieren den Leuten ihre Sachen in Tüten einpacken. Das mag ja vielleicht für manche Kunden komfortabler sein, als es selbst zu machen, es ist aber zweifelhaft, ob die Verpacker mit ihren Löhnen ohne Nebenverdienst oder Unterstützung der Eltern eine selbständige Existenz finanzieren können.
Die Chance zu schlecht bezahlten Berufen oder schlechten Arbeitsbedingungen nein sagen zu können, hat als Konsequenz entweder die Verbesserung der Bedingungen und Bezahlungen oder eine Automatisierung zur Folge. Auch das Rentenproblem würde sich einfach in Luft auflösen. Man stelle sich nur mal vor jeder Rentner und Pflegebedürftige hätte mindestens 1000€ im Monat zur Verfügung, die er oder sie in seine Alten- und Krankenpflege investieren könnte. Würden nicht auch die Pflegekräfte wesentlich mehr Geld bekommen als jetzt?
Fazit und Bedenken
Natürlich wird es immer Jobs geben, die keine Maschine und kein Computer jemals ersetzen kann und das ist auch gut so, aber genauso gibt es eben viele, bei denen das möglich ist und anstatt sich dagegen zu wehren sollten wir lieber nach einer Möglichkeit suchen, diesen Prozess in Zukunft allen zunutze zu machen. Man sollte nämlich auch im Kopf behalten, dass Wohlstand, Wirtschaftswachstum und damit verbunden eine steigende Güterproduktion und Kaufkraft ja vorhanden sind, es nehmen eben nur immer weniger Menschen daran Teil. Das aktuelle Sozialsystem passt nicht mehr auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Realität. Das spiegelt sich in Alters- und Kinderarmut, Niedriglöhnen und Zeitverträgen wieder.
Viele Aspekte sind natürlich sehr strittig. Einige der ungeklärten Fragen sind: Kriegen Kinder das volle BGE, wird es durch den Staat verwaltet oder die Eltern oder sogar komplett oder teilweise an diese ausgezahlt? Kriegen Asylanten ein BGE oder einen Teil ? Macht das Deutschland nicht zu attraktiv für Sozialschmarotzer? Denn es gibt vermutlich auch Leute die wirklich nichts mit dieser Chance anfangen würden. Auch wenn es schwer fällt zu glauben es würde tatsächlich Menschen geben, die ihr ganzes Leben ohne irgendeinen Beitrag zur Gesellschaft verbringen können, gerade wenn für ihre Existenz gesorgt und das Kapital für die Umsetzung von Ideen vorhanden ist.
Das BGE ist, wie auch der Freiwilligendienst, an Solidarität und Vertrauen gebunden. Jeder sollte nicht nur das Recht, sondern auch die Möglichkeit haben sich kulturell, sozial und gesellschaftlich einzubinden. Nach der Würde des Menschen in Artikel 1 ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit im zweiten Artikel unseres Grundgesetzes festgehalten. Von der Realität ist das momentan leider tatsächlich ziemlich weit entfernt. Aber die Idee des BGE könnte ein besseres, gerechteres und freieres Leben für alle bedeuten und genau deswegen gibt es auch immer mehr Menschen, die sich dafür begeistern können und an seinen Erfolg glauben.
Auf der durch Spenden finanzierte Internetseite https://www.mein-grundeinkommen.de/ kann man übrigens in regelmäßigen Verlosungen ein Jahr Grundeinkommen gewinnen. Es ist sehr interessant zu sehen, wie die Menschen damit umgehen.
Zum Abschluss noch ein Zitat von Albert Einstein, das gerne im Zusammenhang mit diesem Thema genannt wird: “Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.” Ich hoffe, ich konnte einen guten Eindruck vermitteln, eventuell Interesse wecken und würde mich natürlich über Feedback und Meinungen freuen.
Quellen
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/digitalisierung-jobs-101.html
https://www.sovd-sh.de/wp3/wp-content/uploads/2017/11/Umfrage-bedingungsloses-Grundeinkommen.png
https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftssektor
https://www.sein.de/sinnlose-jobs-wie-arbeit-die-gesellschaft-krank-macht/
https://www.google.de/publicdata/directory
https://www.pexels.com/de/
1000€ für jeden - Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen; von Götz Werner & Adrienne Goehler
Kommentare