¡Bebe!
Über das Fiesta del Santo de Leticia mit den Feuerstieren und meinen ersten Kater. Wie ich mich als Deutsche fühle, wenn Jugendliche von der crisis erzählen und über Laetitia, die bewundernswert standhaft bleibt und nichts trinkt.
Als wir uns mit Sandwiches aus weißem Toast (der schrecklich am Gaumen klebt), Emmentaler, Tomaten und Gurken an den Esstisch setzten, ist es gerade kurz nach halb 10 in Deutschland und Martinique viel zu spät zum Abendessen, da sind Laetitia und ich uns einig. Wir warten eigentlich darauf, dass José Luis uns zur Fiesta de Santa Leticia abholen würde. Doch erst um halb zwölf, erfahren wir aus einer SMS, sollte es losgehen. Zeit, den Abwasch zu machen und das Kaffeepulver etwas auszumisten (eines war voller Motten) und sich auf dem einzigen Fernsehsender, den wir (mit Unterbrechungen) im Moment empfangen, irgendwelche Modesendungen reinzuziehen. Sollten wir uns rausputzen? Wir entscheiden uns dagegen und bleiben normal, ich in T-Shirt und kurzer Hose und Laetitia in Jeans, Rollkragen und Weste bei angenehmen 23 ° C. Wir werden gleich einem Freund von José Luis vorgestellt, die Namen habe ich mir nicht behalten, mit dem ich mich in der Bar bei einem cerveza auch etwas unterhalten habe. Die engen Straßen sind allesamt dicht an dicht zugeparkt und die Bars in der Dorfmitte haben kaum freie Plätze. Es gibt Schießbuden und Schwarzafrikaner, die Glitzerramsch verkaufen. Während wir unser Bier und José Luis seinen Gin Tonic, das Getränk de la moda in Spanien, trinken, bleibt Laetitia standhaft, als sie immer wieder zum Trinken aufgefordert wird. Sie erklärt mir, dass sie es nicht gewöhnt sei, in Bars zu gehen. Wir ergattern draußen einen Tisch und José Luis kündigt uns die nächste Attraktion an, den toro de fuego. Das ist ein Stier aus Metall, der von einem Mann auf den Schultern getragen wird und mit Feuerwerkskörpern bestückt ist. Die Kinder rennen vorweg und auch alle anderen Leute sollten sich vor den sprühenden Funken in Acht nehmen, wenn der Stier durch die Masse rennt, werden wir gewarnt. Es ist dann tatsächlich ein Heidenspaß, zu sehen, wie alle aufspringen und um die nächste Häuserecke flüchten oder sich zuhauf in eine Bar quetschen. Danach ist die fiesta. Das heißt vor allem erst mal eins: trinken. Wir werden verschiedenen Leute vorgestellt, unter anderem Luis, der uns ein wenig unter die Fuchtel nehmen soll. Ich tausche Begrüßungsküsschen mit jenen, die er mir hinstellt, vergesse alle Namen und lächle freundlich in die zugekleisterten Gesichter der Spanierinnen. Natürlich sind die alle super rausgeputzt und versuchen ihre geringe Körpergröße mit der entsprechenden Absatzhöhe zu kompensieren. Luis führt uns zu einem Haus, einen Katzensprung von unserer Wohnung entfernt, das im Erdgeschoss noch ein Rohbau ist und mit Bierbänken, ausrangierten Ledersesseln und einer provisorischen Bar ausgestattet ist. Ich nehme ein Cerveza con limón, also ein Radler und Laetitia bleibt trocken.
Ich werde unter anderem einem Typ mit blauem T-Shirt vorgestellt, der aus Valencia ist und mir in einem lustigen Mix aus Englisch und Spanisch erklärt, dass er arbeitslos sei und trotz seiner 32 Jahren noch bei den Eltern wohnen muss. Wie zufällig bemerkt er: in Deutschland gibt es genug Arbeit. Ich fühle mich mies und weiß nicht, was ich sagen soll. Das ist ein heikles Thema, aus dem man so leicht nicht mehr herausschiffen kann, wenn es einmal auf dem Tisch ist. Ich wäre am liebsten grade nicht die blauäugige alemana, die man hier insgeheim um ihre sorglose Herkunft beneidet. Klar, mir tun die Jugendlichen furchtbar leid, die mit 30 noch bei den Eltern wohnen müssen und wirklich keine Chance auf eine Festanstellung haben, wie ich als Deutsche. Trotzdem sehe ich auch noch ein anderes Bild von den Jugendlichen: sie wirken nicht bekümmert, wie sie sich angeregt unterhalten und lachen, sie legen Wert auf ihr Äußeres, machen sich schick, wenn's was zu feiern gibt, und das gibt es, denn die Feierlichkeiten hier im Dorf dauern 4 Tage lang. Es ist auffällig, wie viel hier geraucht wird, eine Zigarette nach der anderen und auch gerne mal für die ganze Runde. Inzwischen habe ich mein Prinzip, nur Gauloises zu rauchen, auch schon wieder verworfen. Auch wenn's ums Trinken geht, wird deutlich, dass die Spanier ganz schön was gewohnt sind. Ich lasse mir zwei Wodka Lemon mischen und hab dann erst mal genug, während alle anderen immer einen vollen Becher in der Hand haben und auffordern: ¡Bebe!, ¡Bebe! Im Übrigen habe ich keinen einzigen Cent an dem Abend ausgegeben, da ich immer großzügiger weise eingeladen wurde. Und das ist doch wirklich erstaunlich, wenn man annimmt, dass viele Spanier selbst nicht viel Geld haben.
Gegen drei Uhr gehen wir zur Plaza de la Orquestra, wo man dann tanzt. Der Rohbau wird abgesperrt, die Männer pinkeln an die Häuserecken und los geht’s. Laetitia mag leider nicht mit, sie nimmt Reißaus und verschwindet in unserem Hauseingang. Also geh ich alleine mit den ganzen Leuten mit und mit Maria, von der ich den Namen noch weiß und die mich ihren Gin Tonic probieren lässt. Die Tanzfläche ist gestopft voll als wir kommen, aber die Musik wird schon bald von einem lautstarken Ansager unterbrochen. Jetzt wird Bingo gespielt. Viele haben sich Karten gekauft mit Zahlen drauf und warten gespannt auf den Beginn. Luis reißt mir eine von seinen Karten ab, aber leider habe ich kein Glück. Das ist übrigens die perfekte Übung für Zahlen, mit denen tu ich mich immer etwas schwer.
Luis, José Luis und die anderen haben auch kein Glück und so fährt die Band wieder mit dem Musikprogramm fort. Später versucht Luis sich noch an der Schießbude, was schwierig ist in betrunkenem Zustand. Gegen 5 brummt mein Schädel und ich bahne mich durch die Leute und verschwinde in den Gassen, leider nicht der richtigen. Obwohl Ayerbe so klein ist, ist es doch nicht zu klein zum Verlaufen. Zum Glück ist es noch warm, 17° C in der tiefsten Nacht. Um halb 6 liege ich im Bett und fühle schon die Kopfschmerzen, die mir den wohl ersten richtigen Kater meines Lebens bescheren werden.