AUSTRALIEN | Ein Jahr im Paradies
Manch einen beeindruckt die Erfahrung in einem fremden Land, mit ungewohntem Alltag und fremden Sitten so sehr, dass auch noch Jahre danach das Geschehene innerlich weiter klingt. Bibel ist es so mit ihrem Jahr in Australien ergangen.
Als ich 1996 nach Australien ging, war ich 16 Jahre alt. Die Bewerbung und das Vorbereitungstreffen verliefen problemlos. Leider erfuhr ich erst etwa vier Wochen vor der Abreise, wohin es mich überhaupt verschlagen sollte. Mein zukünftiger Gastvater meldete sich überraschend eines Sonntag morgens per Telefon. Ich war völlig aus dem Häuschen und etwas verblüfft, da er sich auf DEUTSCH mit mir unterhielt. Seine Frau und er waren damals vor 30 Jahren von Deutschland nach Australien ausgewandert....
Eine Woche später erhielt ich einen Brief meiner zukünftigen Gastmutter, in dem sie mir ihre Wohnumstände und was sonst noch für mich interessant war beschrieb. War ich vorher noch etwas unsicher gewesen, ob meine Entscheidung ein Jahr wegzugehen wirklich richtig gewesen sei, so waren diese Zweifel nun völlig von Neugier und Vorfreude überdeckt.
Als es endlich soweit war, brachten mich meine Eltern nach Amsterdam zum Flughafen. Von dort aus ging es nach Singapur, dann nach Brisbane und letztendlich nach Mackay. Dort – völlig übermüdet angekommen – wurde ich von meiner Gastfamilie samt Kindern und Enkelkindern abgeholt. Ich war völlig überwältigt und ich konnte überhaupt kein Englisch mehr sprechen. Die Vokabeln waren aus meinem Gedächtnis verschwunden...
Die erste Zeit war etwas schwierig, da ich nicht wusste, wie ich mich mit meinen Gasteltern unterhalten sollte. Ich wollte natürlich kein Deutsch mit ihnen sprechen, aber mein Englisch war mir nicht gut genug. Ich vermied längere Gespräche und war froh, wenn ich Zeit bei ihrer Tochter und deren Kids (zwei, sechs und acht Jahre alt) verbringen konnte. Die Kommunikation dort klappte einwandfrei.
Wohin das führte? Nun ja, mein Gastvater fragte mich eines Tages, ob ich mich bei ihnen nicht wohl fühlte. Ich war völlig entsetzt, denn ich war total glücklich und habe mich wirklich sogar sehr wohl gefühlt! Von dem Tag an redete ich munter drauf los. Ich wollte ja schließlich nicht, dass meine Gasteltern sich weiterhin Sorgen machten, nur weil ich nicht viel geredet habe.
Kurz darauf begann die Schule. Meine Gastmutter fuhr mit mir dort hin. Unser "principal" der Sarina State High School stellte mit mir meinen Stundenplan zusammen. Ich wusste damals nicht, was mit "Marine Ed" und "mod his" oder sonstigen fremden Begriffen gemeint war. Ich ließ mich überraschen. Mir war nur wichtig Englisch, Bio, Mathe und Französisch zu belegen, das waren die Vorgaben meiner deutschen Schule, damit ich danach gleich in die 12. gehen konnte. Ich wurde in das zweite Halbjahr der 11. Klasse eingestuft (in Australien beginnt das Schuljahr im Sommer, also in unserem Winter...).
Dann überreichte mir die Sekretärin die Schuluniform: weißes Polohemd, einen weinroten, knielangen Rock, eine weinrote lange Hose und ein gelbes Polohemd. Die meisten Mädchen trugen den Rock mit weißem Polohemd. Eigentlich waren schwarze Halbschuhe vorgeschrieben, aber letztlich trugen wir dann doch alle Turnschuhe. Es machte mir überhaupt nichts aus, diese Uniform zu tragen, ich fand sie vor allem noch sehr human. Ich lernte im Laufe des Jahres noch wesentlich "hübschere" Uniformen kennen :-)
Mein Schultag begann damit, dass ich morgens um 7.30 Uhr mit dem Schulbus abgeholt wurde. Um 8.45 Uhr fand eine Morgenversammlung statt, in der wichtige Informationen des Tages bekannt gegeben wurden. Um 9.00 Uhr begann der Unterricht. Eine Schulstunde dauerte 55 Minuten. In die Klassenräume durften keine Taschen mit rein genommen werden. Kopfschmerztabletten, und andere unerlaubte Mitbringsel wurden im Sekretariat ausgegeben. Dort konnte man auch Binden und Tampons, Taschentücher und Ähnliches bekommen. Die Tabletten waren nur dort erlaubt, es konnten ja schließlich auch Drogen sein…
Die Schule fiel mir anfangs aufgrund meiner Englischkenntnisse und des australischen Dialektes schwer. Nur der Französisch unterricht war pillepalle. Ich musste am Unterricht der 9. Klasse teilnehmen, in unserem Jahrgang gab es keinen Kurs. Weitergebracht hat mich der Kurs insofern, als dass ich durch das Französisch die Englischvokabeln schneller gelernt habe.
Nachmittags nahm ich am Schulchor teil, da meine Gasteltern sehr weit draußen wohnten und sie mich jedes Mal fahren mussten, wenn ich mich mit Freunden treffen wollte. So konnte ich viel Zeit mit meinen Freunden verbringen, ohne meine Gasteltern zu sehr in Anspruch nehmen zu müssen.
An Wochenenden half ich oft im Garten – der auf diesem riesigen Grundstück eigentlich schon eher ein Park war – putzte Fenster oder wusch die Autos. Das war bei der Hitze oft sehr Schweiß treibend.
Viele Wochenenden verbrachte ich aber auch mit meiner Gastschwester und ihrer Familie. Mal fuhr ich mit zum Turntraining der Mädchen, gingen wir schwimmen, shoppen, reiten oder fuhren mit dem Minitraktor über die Felder. Außerdem verabredete ich mich mit anderen Austauschschülern, es fanden Treffen unserer Organisation statt oder ich traf Freunde. Langweilig war mir nie.
Mein Zimmer war ein Paradies: ein großes Wasserbett, eine eigene Kochnische mit Kühlschrank, Mikrowelle, Toaster und ein eigenes Badezimmer mit Toilette, Badewanne (inklusive einem Spa) und Extradusche. Außerdem hatte ich einen eigenen Ausgang zur Terrasse, einen Ventilator und eine Klimaanlage.
Während meines Austauschjahres war ich auch viel unterwegs. Meine Gasteltern flogen mit mir eine Woche nach Melbourne, und mit anderen Austauschschülerinnen erkundete ich Brisbane, Hamilton Island, Townsville zum Schnorcheln und Katamaran fahren. Mit der Organisation fuhr ich noch vier Wochen campend durch Australien (Brisbane, Camberra, Sydney, Adeleide, Cooper Peedy, Kings Canyon, Alice Springs, Mt. Isa, Cairns,…)
Das Jahr in Australien war total klasse! Ich denke sehr, sehr gerne an die Zeit zurück und habe auch heute noch Kontakt zu meiner Familie dort. Es war wie im Paradies!
Die Wiedereingewöhnung ins deutsche Leben war hart.