Auf die Plätze... Fertig... Los!
Das Gefühlschaos vor dem Startschuss und warum Vertrauen in sich selbst und die Mitmenschen dagegen helfen kann.
Du stellst deine Füße in den Startblock, auf das Kommando berühren deine Fingerspitzen die Bahn, du gehst in die Knie, streckst deine Beine etwas mehr, sodass dein Po zum Himmel zeigt, ein letztes Mal tief durchatmen. Von außen wirkst du fokusiert, auf dein Ziel konzentriert. Es gibt scheinbar nichts, das dich in diesem Moment aus dem Gleichgewicht bringt. Aber ehrlich? Jeder, der schon einmal einen 100m-Sprint gelaufen ist, weiß, dass der Schein trügt.In diesem Moment vor dem Startschuss spielen die Gefühle komplett verrückt.
Zum einen hätten wir da die Vorfreude auf den Lauf, den Wind im Gesicht, das Gefühl in den Beinen alles schaffen zu können. Andererseits durchdringt die Angst, das Zeichen zu verpassen, den Start zu vermasseln und damit den ganzen Sprint zunichte zu machen den ganzen Körper. Man hat Selbstzweifel, zu früh loszulaufen und disqualifiziert zu werden oder gar zwischendrin zu stolpern. In diesen wenigen Sekunden prasseln so viele Gefühle zeitgleich auf einen ein und man selbst hat keine Chance etwas zu unternehmen außer auf den Startschuss zu warten, um loszurennen.
Genau dieses Gefühlschaos mache ich seit einigen Tagen durch mit dem Unterschied, dass es sich bei mir nicht um einen Sprint, sonder um meinen Freiwilligendienst in Schweden handelt. Mit meinem Abizeugnis in der Hand lagen erst einmal mehrere Wochen Urlaub mit Freunden und der Familie vor mir und der Abflug nach Åmål schien noch Monate entfernt. Mittlerweile befinden sich zwischen der Erinnerung "Abflug Schweden" und heute in meinem Kalender nur noch 4 Daten und wenn ich allein schon daran denke, macht mein Magen einen Kopfstand. Und da sind sie dann wieder: Freude auf das, was kommt, aber auch die Angst, den Erwartungen nicht genügen zu können.
Dabei ist es weniger der Abschied, der mir Sorgen bereitet oder das Gefühl nicht vorbereitet zu sein. Im Gegenteil: ich weiß, dass Freunde und Familie hinter mir stehen und auch wenn ich sie alle eine lange Zeit nicht wiedersehen werde, Schweden ist nicht aus der Welt und immerhin leben wir im 21. Jahrhundert mit Whatsapp und Co. Außerdem fühle ich mich so gut vorbereitet, wie es eben geht und weiß, dass ich das schaffen kann. In der Jugendarbeit habe ich Erfahrung und auch wenn mein Englisch mit Sicherheit noch ausbaufähig ist, kann ich mich doch weitestgehend problemlos verständigen.
Vor was habe ich also eigentlich Angst? Davor zu versagen? Davor einem solchen Freiwilligendienst in Schweden nicht gewachsen zu sein? Wenn ich ehrlich zu mir bin, dann ist mir klar, dass egal was kommt und wieviele Fehler ich vielleicht auch machen werde, "Versagen auf ganzer Linie" gar nicht möglich ist. Wenn man beim Sprint nach dem Startschuss kurz verzögert oder auf der Strecke stürzt, dann steht man eben wieder auf, läuft weiter und schafft trotz des Patzers noch das so bestmöglich Resultat. Man hat sein Bestes gegeben, ist gelaufen und im Ziel angekommen. Das ist die Hauptsache!
Dieses Vertrauen in mich gibt in Momenten der emotionalen Überforderung mir die Kraft, die Angst zur Seite zu schieben und die Vorfreude zu genießen. Außerdem werde ich auf dem ganzen vor mir liegenden Weg immer Menschen bei mir haben, die mir die Hand reichen, wenn ich mal Hilfe brauche, die mir auf die Schulter klopfen, wenn etwas gut lief oder mich aufmuntern, wenn ich mich am liebsten irgendwo verkriechen würde. Es ist also nicht nur mein Selbstvertrauen und das Wissen darum, dass Fehler nichts Schlimmes sind, das mich vor dem Startschuss einmal tief durchatmen und dann positiv nach vorne blicken lässt, sondern auch das Vertrauen in meine Mitmenschen, meine Mitbewohner, Arbeitskollegen und Mentoren.
Wenn ich also am Sonntag in den Flieger Richtung Göteborg steige, dann ist das mein persönlicher Startschuss. Und nun den Koffer zu packen und mich von allen zu verabschieden ist mein perönliches Einnehmen der Startposition: Füße in den Startblock, Finger an die Linie, Beine anwinkeln. Nun trügt der Schein nicht mehr. Jetzt ist aus dem großen Gefühlswirrwarr ein Kleines und etwas Geordneteres geworden. Also worauf warte ich noch:
Auf die Plätze... Fertig... Los!
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