Athen - Eine Stadt im Umbruch
Athen von oben: eine weiße Stadt erstreckt sich kilometerweit bis hin zu den Bergen und dem Meer. Athens Eleganz sind rauen Fassaden, auf denen sich Plakate, Großstadtdreck und Graffitis tümmeln. Dazwischen Kunst und Protest. Athen protzt nicht, Athen verschönert nichts, Athen ist authentisch.
Inselleben
Mein Bild von Griechenland hat sich um die Hauptstadt Athen erweitert. Ein starker Kontrast im Vergleich zu Kreta ist mehr als nur zu spüren: mehr Menschen, weniger Natur, mehr multikuliti, mehr Armut, mehr Zerfall, mehr Vielfalt. Vielfalt ist auf Kreta einfältiger. Der Austausch auf einer Insel ist doch ein ganz anderer, da kommt nicht so schnell so viel von außen herein und auch nichts so schnell wieder heraus. Kreta ist ein Kosmos für sich und Athen ein ferner Verwandter davon. Vor meinem Großstadttrip wurde mir dazu geraten, vorsichtig zu sein,bestimmte Bezirke zu meiden und gut auf mich und meine Wertsachen aufzupassen. Für mich haben diesen Aussagen nicht viel bedeutet, ich kenne den raueren Ton aus Berlin. Nun verstehe ich aber diese Bedenken, denn das Leben auf Kreta ist behütet. Obdachlosigkeit ist eine Seltenheit, ebenso wie nach Geld oder ähnlichem gefragt zu werden was nicht heißt, dass es das alles nicht gibt. Auf Athens Straßen ist die Herausforderung des (Über-)Lebens zu spüren. Doch eine Gemeinsamkeiten fällt sofort auf: auch die Athner_Innen lieben es zusammenzusitzen und zu reden, in Cafés, Bars oder Restaurants, die auch hier in fast jeder Straße gut gefüllt zu finden sind.
Leerstand
Ich frage mich oft, was sich wohl hinter den vielen herunter gelassenen Rollläden der kleinen Geschäfte versteckt oder mal versteckt hat. In noch keiner europäischen Großstadt sah ich so viel Leerstand. Hinter so manch einer Hausfassade liegt das stille Nichts, die Fassade steht noch, der Rest ist verfallen oder abgebrannt. Doch gibt es ebenso in Athen auch die schicken Läden und Häuser für die Reichen und Schönen. Doch selbst dort findet man Leerstand und heruntergekommene Fassaden. Für mich ist vergleichbar mit dem Berlin-Style, hinter so manch einer abgerockten Fassade versteckt sich eine hippe Bar oder ein Designergeschäft. Die Menschen geben der Stadt ein Gesicht und das sprüht vor Kreativität und Widerstand. Doch der größte Unterschied zu Berlin sind die Zitrusbäume an den Straßenrändern, ein Zeichen das Berlin doch sehr weit weg sein muss. Es empfiehlt sich übrigens nicht diese Früchte zu essen, außer man möchte das Erlebnis eines stumpf bitteren Gefühls im Mund erleben.
Für Steinliebhaber_Innen
Athens Gesicht prägt auch die Vergangenheit: Ausgrabungen, Schätze und Überreste der jahrtausendealten Gebäude tauchen immer wieder auf, wenn man durch die Stadt schlendert. Mein griechischer Studierendenausweis hat mir die Möglichkeit gegeben alle Ausstellungen und antiken Fundstätten kostenlos zu besuchen. Doch fehlt mir leider der richtige Zugang dafür. Aber dennoch haben mich die viele Parallelen zum heutigen Leben in den Ausstellungen fasziniert: die gleiche Ästhetik des Schmucks, der ohne Umstände heute noch verkauft werden könnte oder auch wird; Spiele, wie Würfel, die auch im Kindergarten nicht fehlen; Töpfe und Tassen in den gleichen Formen wie heute; oder aber auch das Gedenken und der Respekt an Verstorbenen, den es auch heute noch in unserer Gesellschaft gibt.
Sichtbarer Protest
Streetart lebt und atmet in Athen. Ein Zeichen der Kultur und eine Schrei in der Krise. Viele Aussagen, die ganz ohne Worte ankommen, viele Gemälde, die mehr als beeindrucken. Überall tauchen sie auch. Auch der schwarz rote Stern der Anarchisten_Innen ziert die Stadt. Sozialer Widerstand in der Stadt sind auch durch solidarische Küchen, in denen man auf Spendenbasis essen kann, auch wenn man nichts zu spenden hat, Tauschringe in denen man seine Fähigkeiten weiter gibt, der eine gibt Klavierunterricht, die andere babysittet. Oder auch Ärztezentren, die Menschen behandeln ohne Gegenleistung, diese sind besonders wichtig, denn selbst, wenn man eine gesetzliche Krankenversicherung besitzt, muss man das Geld für die Medikamente aufbringen können und das können nicht viele. So werden Krankheiten oft verschleppt und am Ende teurer und schmerzvoller.
Athen erzählt viel: über Menschlichkeit, über Unmenschlichkeit, über Solidarität, über die Gemeinsamkeiten Europas und die große Diversität in Europa. Athen protzt nicht, Athen verschönert nichts, Athen ist authentisch.