Arbeitsalltag
Claudi berichtet von ihrem Arbeitsalltag im Altenheim. Sie versucht tagtäglich, das Chaos zu beherrschen und bastelt und malt mit älteren Herrschaften, zum Beispiel über einhundert Weihnachtskarten.
So könnte es aussehen
In einem deutschen Büro: Die Freiwillige erscheint pünktlich viertel vor neun zur Arbeit, um schonmal einige Dinge vorzubereiten. Eine halbe Stunde später verlässt sie mit 100 Bastelsachen beladen ihr Büro und hinterlässt dabei ein wenig Unordnung. Die Bemerkung von ihrer Verantwortlichen: “Aber den Saustall räumst du da vorher noch weg, oder?!”
Morgens halb neun in Spanien
Und so sieht das ganze dann in meinem Arbeitsalltag aus: Nach einer halben Stunde Bergsteigen kommt die kleine deutsche Freiwillige erschöpft und halberfroren endlich im Altenheim “Villa Altea de les Boqueres” an. Die Uhr zeigt viertel nach neun – der Bus hatte mal wieder Verspätung. An der Rezeption frage ich nach dem Schlüssel und nach fünf Wochen kennt man noch immer nicht meinen Namen. Oben im Büro wird erstmal der PC angeschmissen und langsam trudeln meine Mitfreiwilligen, Praktikanten und auch der Chef ein. Bis um zehn oder halb elf ist noch Zeit für Gespräche, die Mails zu checken oder noch ein bisschen vor sich hin zu dösen. Dann macht man sich die ersten Gedanken, was man denn heute Schönes mit den 120 Omis und Opis im Zentrum so alles anstellen könnte; zu jedem früheren Zeitpunkt wäre das unangemessen.
Zur Abwechslung mal ein wenig unorganisiert :)
Sollte man jedoch unvorhergesehenerweise vorhaben, irgendetwas abzulegen, eine Schere zu benötigen oder gar die Kopien von gestern wiederzufinden – haha! Nichts da! Ich wurde 19 Jahre lang auf meine Unordnung “aufmerksam gemacht". Hier gehen wir im Chaos unter! Der gar nicht so kleine Tisch ist immer, wirklich immer voll, genau wie die Regale, vom Schreibtisch fang ich gar nicht erst an. Die gelagerten Sachen, Bastelmaterialien, Farben, Pinsel und Glitterstifte stapeln sich in allen Ecken und auf dem Fußboden. Wäre jetzt nicht Winter, würden wir bestimmt auch die Fensterbänke nutzen.
Les Boqueres
Mein Altenheim ist riesig groß, im Vergleich zu dem, was ich aus Deutschland kenne. Im Erdgeschoss befinden sich Rezeption, Verwaltung, Direktion, ein Raum für die sonntägliche Messe, die Tagesklinik, ein Speiseraum, die kleine Sporthalle und ein Schwimmbad. Hier sind meine Abuelitos noch relativ fit.
Im ersten Stock findet man die Menschen, die schon ziemlich viel Betreuung brauchen und teilweise unter schweren physischen sowie auch psychischen Störungen und Alterserscheinungen leiden. Aus diesem Grund beschränkt sich das Tätigkeitsfeld hier auf relativ einfache Fingerübungen, Malen, Farbenraten und so weiter.
Im zweiten Stock gibt es einen weiteren Aufenthaltsraum und auch mein Büro. Die Omis von hier oben sind meist noch gut beieinander und oft mit ihren eigenen Arbeiten beschäftigt. Die dritte Etage ist eine Freiluftterrasse, von der man wunderschön auf Berge und Meer blicken und sich vom Stress erholen kann.
Auf der Suche nach Bastlern
Wenn ich mich dann für einen Workshop entscheiden konnte, und die dazu benötigten Materialen zusammen gesammelt habe, lasse ich erstmal alles liegen und gehe auf Begrüßungstour.
Meistens fange ich unten in der Tagesklinik an. Pepita erzählt mir, wie weit sie mit ihren Buch ist, Monique versuche ich auf Französisch zu sagen, dass wir uns wie immer im Salon in der Zweiten treffen, Tereza berichtet über ihre bevorstehende Augenoperation. Und manchmal, wenn die Sonne scheint, kann ich auch den deutschen “Neuzugang” Rudolf motivieren, mit den Señoras zu basteln. Da die Day-Center-Leute als valide eingestuft sind, kommen sie allein nach oben zu meinem Workshop. Während diese auf den Fahrstuhl warten, husche ich an ihnen vorbei die Treppe hoch auf die Erste.
Paulina begrüßt mich mit einem Lächeln, Maria und Vicenta, zwei Freundinnen, bekräftigen noch einmal, dass sie aber nur zu zweit gehen wollen und Hernesto, ein holländischer Chinese, drückt im Vorbeigehen ganz fest meine Hand. Jetzt benötige auch ich den Fahrstuhl um mein Grüppchen zusammen zu bekommen. Anfangs haben mir die Rollstühle den Schweiß auf die Stirn getrieben, aber mit in wenig Übung ist das gar kein Problem. Oben warten dann schon die restlichen Handarbeitswütigen: Liberdad, die nicht länger als fünf Minuten sitzen bleibt, Tereza, die sie überall hin begleitet und Vera, meine Engländerin, die sich in den verstricktesten Verschwörungstheorien verliert.
¡animo!
Die Anzahl der Mitarbeiter in meinem Animationsteam variiert ständig. Fix sind eigentlich nur zwei Leute. Eigentlich, weil eine von ihnen, meine Tutorin Magda, leider einen Autounfall hatte und noch immer krankgeschrieben ist. Deshalb muss jetzt der liebe Gregory in die Bresche springen und sich mit uns europäischen Freiwilligen herumschlagen. Letztere wären dann Giorgos, der Grieche aus meiner WG, und ich. Außerdem gibt es da noch Lorena aus Argentinien, für die bei uns in der Wohnung leider kein Platz mehr ist und Sonja, die französische Praktikantin. Als kleine Verstärkung kommt dann immer noch Tereza dazu, die in ihrer Kurzeit ein wenig Gutes tun möchte.
Mit Rat und Tat
Also geht es gegen elf Uhr mit den Aktivitäten los. Dazu teilen wir uns meistens auf. Giorgos macht immer irgendwas mit Debatte und Lektüre, Gregory sein allseits beliebtes Gedächtnistraining und für uns Mädchen bleibt die künstlerische Seite. So durfte ich dann im letzten Monat 120 Weihnachtskarten herstellen – für jeden Bewohner eine. Und ich muss sagen, nie hätte ich gedacht, dass sie doch so anständig werden.
So weit so gut
Gegen halb eins sind wir fertig, bringen die Omis und Opis wieder an ihren Platz und finden uns im Büro ein, um noch anderthalb Stunden irgendetwas zu tun (außer natürlich die Aktivitäten für morgen zu planen - Zzzzz!zzzzz!).
Um zwei Uhr hat mich dann die Freiheit wieder. Gregory nimmt uns noch mit runter in den Ort und ich kann nur hoffen, dass der Zug bald kommt und mich zu meinem Mittagessen bringt.