„A Major for all Londoners“
Der erste muslimische „Major of London“ ist gewählt. Das Ergebnis ist ein gutes Zeichen.
Gründe, London zu verlassen
Als ich im September mein EVS begann und meine Kollegen allmählich kennenlernte, fand ich mich oft in Schockstarre wieder: Viele von ihnen sind nämlich gebürtige Londoner. Sie sind in den suburbs zur Schule gegangen und dort aufgewachsen. Nach dem Studium verweilten die meisten noch einige Jahre in der Hauptstadt, doch spätestens mit der Hochzeit und der einsetzenden Familiengründung zogen viele weg. Wie zum Beispiel nach Portsmouth (zwei Stunden vor London an der Südküste). In meiner Londoneuphorie konnte ich das gar nicht fassen. Die Kleinstadt Portsmouth der explosiven Metropole London vorziehen? Unbelievable!
London war für mich immer das Zentrum Großbritanniens. Der Inbegriff! Doch im Verlauf meines EVSs habe ich vor allem zwei Beweggründe verinnerlicht, die mir meine Kollegen erklärten.
Als erstes wird in der Regel die teure Miete genannt. In der Innenstadt Londons lebt eigentlich kein „normaler Mensch“, so heißt es. Deshalb würden die meisten in die angrenzenden Vororte ziehen und die Mieten sänken sofort. Aber selbst in den nördlichen Vororten, die als die günstigeren gelten, sei das Wohnen als durchschnittlich Verdienender nicht bezahlbar. Man zieht als noch weiter weg vom Zentrum, was die Folge hat, dass die tägliche Pendelstrecke immer länger und unerträglicher wird. Ich war ein einziges Mal so töricht, morgens um 07.30 in London Waterloo anzukommen. Die Bahn war bis auf den letzten Platz gefüllt und gefühlt jeder Berufstätige Londons wartete mit mir auf die Tube. Nach dieser Erfahrung kann ich gut nachvollziehen, weshalb man nicht nach London pendeln möchte. Und nicht nur die Mieten sind in London astronomisch, auch das alltägliche Leben. Bei einem kleinen Vergleich von Preisen einiger Ketten kam ich zu dem Ergebnis, dass man in London immer £1-2 mehr zahlt.
Ein anderer Grund, die Stadt zu verlassen, stellen die alltäglichen Ungerechtigkeiten, etwa die gewaltigen Gehaltsunterschiede, und deren Ausmaß dar, wie man es derartig stark nur in London spürt. Ich habe den Eindruck bekommen, dass trotz dem stark ausgeprägten sozialen Kitt zwischen den Engländern („english politness“ ist das Stichwort), es sehr darauf ankommt, in welche Familie man geboren wurde, ob man auf eine Privatschule ging und (wie auch sonst überall) wen man kennt. Ein guter Artikel dazu: http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/steile-karriere-dank-oxford-bachelor-studium-ppe-als-sprungbrett-a-1007205.html.
Die Wahl vom 05. Mai
Diesen Donnerstag haben die Londoner entschieden, wer künftig diese und weitere Probleme in der Hauptstadt angehen soll. Als Nachfolger des momentanen Bürgermeisters Boris Johnson (Conservative Party) standen zwei Kandidaten zur Wahl wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können: Zac Goldsmith (Conservative Party) und Sadiq Khan (Labour Party). Goldsmith stammt als Sohn des Milliardärs Sir James Goldsmith aus einem sehr wohlhabenden Elternhaus. Khan dagegen wuchs als Sohn pakistanischer Immigranten, einer Näherin und eines Busfahrers in einem sog. „Council-House“, einer Sozialwohnung, auf. Während Goldsmith nach Besuch des (privaten) Eton Colleges keinen weiteren akademischen Weg einschlug, studierte Khan an der Universität Nord-London Rechtswissenschaften.
Khan siegte mit einem Vorsprung von 14 Prozentpunkten, die Wahlbeteiligung lag bei 45,4%. Sein Sieg wird nicht damit begründet, dass er im Gegensatz zum Euroskeptiker Goldsmith sich für den Verbleib Großbritanniens in der EU einsetzt, oder, dass er Muslim ist (jeder 8. Londoner ist Muslim), sondern mit seinem Versprechen, die Wohnungsnot, die schlechte Bezahlung und den öffentlichen Nahverkehr anzugehen.
Seine authentische Wirkung lässt sich am folgenden Beitrag aus seinem Wahlprogramm gut zeigen: „Public Transport. London's transport has always been a big part of my life – my dad drove the number 44 bus. And more recently, I served as a Transport Minister in the last Labour Government, working on schemes such as Crossrail. But above all, like most Londoners, I’ve relied on it throughout my life to get me around. We can’t afford to let the cost of travel become a barrier to work. That’s why it’s vital we put a hold on the rocketing fares of the last eight years.” Aus dem Text kann man gut ableiten, dass Khan sich als bodenständiger Londoner versteht, der, wie alle anderen auch, nicht das Taxi, sondern die Tube nimmt. Ich finde, dass er den Londonern viele Möglichkeiten gibt, sich mit ihm zu identifizieren. Er zeigt sich als einer von ihnen, als einen, der ihre Probleme kennt und als einen, der sie und ihre Interessen glaubhaft vertreten und gewissenhaft umsetzten kann.
Auswirkungen auf unsere Generation
Ein wichtiger Schritt London für junge Briten wieder attraktiv zu machen, wäre es bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Der öffentliche Dienst teilt mit, dass es fast unmöglich sei, junge Lehrer anzustellen, die aus Geldnot nicht noch bei ihren Eltern wohnen. Auch für Mobilitätsprogramme der Europäischen Kommissionen, also uns EVS-Studenten aber auch Erasmus-Studenten wäre es sehr wichtig, dass London als möglicher Ort eines Austausches überhaupt wieder in Betrachtung kommt. Die Frage nur, wie Khan sich diesem Problem nähern wird. Um London herum spannt sich nämlich der sogenannte „green-belt“, der hauptsächlich landwirtschaftlich und zu 7% als Golfanlage benutzt wird. Ein weit vertretener Ansatz ist es, diesen grünen Gürtel zu bebauen, doch viele bürokratische Probleme und die Interessen der wohlhabenden Londoner stehen momentan noch im Weg. Eigentümer fürchten nämlich, dass die Preise für ihre Immobilien sinken würden, wenn es tatsächlich zur Bebauung käme. Der Student und andere Gruppen würden das natürlich begrüßen.
Ansonsten würde London nämlich vor allem an einem Problem, was schon eingesetzt hat, zwar nicht zu Grunde gehen, aber weiterhin leiden: Die Wohnungsnot zwingt viele ausgebildete junge Studenten in für sie weniger interessante Gebiete zu ziehen, was wiederum die Folge hat, dass die Vielfalt abnimmt. Der Economist schreibt dazu: „If different sorts of people do not cluster together, they cannot exchange ideas and innovations so readily“. Wenn man sich jetzt vor Augen hält, das gerade die Diversität, die damit einhergehende Kreativität, die interessante Universitätslandschaft und die ausgeprägte Aktivistenszene London so attraktiv für britische und internationale Studenten macht, dann sieht es ziemlich düster aus.
Leider haben sowohl Goldsmith als auch Khan angekündigt, dass sie den Grünen Gürtel so bewahren möchten, wie er ist. Wie weit Khan sich an dieses Versprechen hält, wird wohl von der vielleicht angespannteren Stimmung, aber ganz wesentlich von dem Druck jener abhängen, die von den hohen Preisen in London profitieren.
Einen Lichtblick stellt jedoch sicher die erhöhte Aufmerksamkeit auf andere englische Großstädte dar. Oft hört man, wenn es um Großbritannien geht, nur London, London, London. Aber das Land hat doch so viel mehr zu bieten. Die Universität Birmingham zum Beispiel wird momentan mit zahlreichen Neubauten und Neuaustattungen attraktiver für Studenten naturwissenschaftlicher Fächer gestaltet und ist fleißig dabei, bei vielen internationalen Wettbewerben platziert zu werden und Bristol ist UK-weit bekannt für seine innovativen umweltschützenden Projekte, die hauptsächlich von den Jungen ins Leben gerufen worden sind. Der massive Auszug aus London wird diesen bisher weniger beachteten Städten einen enormen Schub an Innovation, Kreativität und spannender Studentenlandschaft bescheren.
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