Von Köln nach Europa
Schon als kleines Kind stand für mich fest, dass ich einmal in Köln studieren werde.
Ich heiße Aparna, bin 20 Jahre alt und komme aus Nepal. Seit Januar dieses Jahres lebe ich in Köln bei einer Freundin meiner Eltern.
Es war das erste Mal, dass ich mein Heimatland verlassen habe. Ich bin erstmals geflogen – von Kathmandu nach Frankfurt – und zum aller ersten Mal in einen Zug gestiegen, der mich von Frankfurt nach Köln brachte.
Schon als kleines Kind stand für mich fest, dass ich einmal in Köln Biologie studieren werde und mich, wie meine Mutter, der Erforschung von Tropenkrankheiten widmen möchte.
Ich habe mein Abitur in Kathmandu gemacht, das in Deutschland als Ausgangsbasis für ein Studium nicht anerkannt wird.
Um die deutsche Sprache zu erlernen, habe ich im Goethe- Zentrum in Kathmandu diverse Kurse absolviert. Zur schnellen Orientierung in Deutschland trugen sie jedoch nur wenig bei. Meine Sprachlosigkeit war groß.
Ein Erlebnis, gleich zu Beginn meines Aufenthaltes in Köln, ließ mich fast erstarren: ich stand an einer Bushaltestelle, ein Auto mit Kölner Nummernschild kam herangebraust und stoppte kurz vor mir. Ein zorniger Vater sprang heraus, zog seinen ca. 5-6 jährigen widerspenstigen Sohn aus dem Rücksitz seines Autos, versetzte ihm ein paar heftige Hiebe auf seinen Hosenboden, stieß das schreiende Kind zurück ins Auto und fuhr blitzschnell davon. „In Deutschland schlägt man keine Kinder“, dass behauptet man in Nepal. Traum und Wirklichkeit klaffen, wie so oft, auseinander.
Ich erinnere mich an meine eigene Schulzeit. Ich kam mit 4 Jahren in die Vorschule. Nach einem langen Fernsehabend war ich, auf der Schulbank sitzend und auf meine Arme gestützt, eingeschlafen. Durch ein paar Ohrfeigen meiner Lehrerin wurde ich unsanft aus meinen Träumen gerissen. Fortan wollte ich nicht mehr zur Schule gehen, bis mein Vater einem Schulwechsel zustimmte.
Um für die Deutschprüfung (Feststellungsprüfung zur Erlangung der Hochschulreife) gewappnet zu sein und mich auf mein Studium vorbereiten zu können, besuchte ich sieben Monate lang Kurse der Volkshochschule in Köln. Meine Mitstreitenden waren Menschen unterschiedlichster Herkunft, z.B. aus Argentinien, Kolumbien, aus den Niederlanden, aus Bangladesch, Spanien oder der Slowakei. Die meisten von ihnen waren älter als ich und lernten Deutsch, um ihre beruflichen Chancen in Deutschland besser wahrnehmen zu können oder z.B. durch gute Sprachkenntnisse vor einer bevorstehenden Heirat die Grundlage für eine glückvolle Ehe mit einem deutschen Partner zu verbessern.
Wir haben alle miteinander Deutsch gebüffelt, uns gegenseitig geholfen, beraten, zusammen Feste gefeiert und unter Zuhilfenahme einer Weltkarte aufgezeigt, wo unsere jeweiligen Wurzeln sind.
Ich als Hinduistin lernte Christen, Buddhisten, Muslime und andere Glaubensgemeinschaften kennen. Während des gemeinsamen Kursbesuches waren wir alle eng aneinander gerückt. Nach Ende des Kurses galt es, wieder einmal Abschied zu nehmen. Wir hatten keinen Anlass, uns fremd in Deutschland zu fühlen.
Nach bestandener Aufnahmeprüfung besuche ich seit August d.J. ein Studienkolleg in Bochum zur Vorbereitung auf mein Studium. Das Zugfahren über mehrere Stunden ist zum täglichen Sport geworden.
Wieder treffe ich junge Menschen, die im Schnitt so alt sind wie ich selbst, aus der ganzen Welt. Bis jetzt gehören zu meinem „Repertoire“ ca. 30 Nationen. So vielen „Fremden“ bin ich in Nepal im Laufe meines bisherigen Lebens nicht begegnet.
Wenn man bedenkt, dass in Köln Menschen aus 170 Ländern leben, sind meine Begegnungsmöglichkeiten mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen in meinem unmittelbaren Umfeld längst noch nicht ausgeschöpft.
Für mich ist Köln gleich zu setzen mit Europa. Je eher ich aus meiner anfänglichen Sprachlosigkeit erwache, je eher es mir gelingt, gut Deutsch zu sprechen und zu verstehen, desto schneller habe ich mein Ziel erreicht, mich in Köln heimisch zu fühlen und somit nicht nur in Köln, sondern auch in Europa angekommen zu sein. Wenn ich in Köln eine gute Kommunikationsbasis gefunden habe, gelingt es mir auch, mich überall in Europa zu orientieren.
Vielleicht kann ich eines Tages darüber lächeln, wenn ich an meinen ersten Besuch in einem Bäckerladen denke. Ich wollte, wie in Nepal, ein Brot kaufen, weil ich hungrig war. Ich musste zuvor jedoch den Fachvortrag einer Verkäuferin über die unterschiedlichsten Brotsorten über mich ergehen lassen, der aber nicht zu meiner Entscheidungsfindung beitrug, weil ich ihn nicht verstand. Ich konnte nicht deutlich machen, dass ich mit der Vielzahl deutscher Brotsorten überfordert war. Ich musste erst allmählich herausfinden, welches Brot ich letztendlich zu meinem „täglichen Brot“ auswählen würde. Ich stand am Anfang einer langen „Gourmet-Reise“ und wollte doch nur ein x-beliebiges Brot.
Eines Tages kehre ich nach Nepal zurück. Je weiter ich von Nepal entfernt bin, desto klarer wird mir vor Augen geführt, wie wichtig mein Herkunftsland für mich ist. Ich habe mir vorgenommen, auf alle hohen Berge Nepals zu klettern, die in der Regel nur von Touristen erklommen werden, durch die verschiedenen Regionen meines Landes zu wandern und mich mehr für die Belange meiner Landsleute zu interessieren. Darüber hinaus stehen auf meinem Besuchsprogramm alle wichtigen Kulturstätten. Zu guter Letzt werde ich mich zu einer beachtlichen Fremdenführerin entwickeln.
In Nepal wandert man nicht zum Vergnügung. Das „Wandern“ ist zweckgebunden. Man besucht Verwandte in entlegenen Dörfern und erreicht den Ort oft nur zu Fuß über unwegsame Pfade, „im Schweiße seines Angesichts“.
Meinem jüngeren Bruder habe ich geraten: „Lerne Radfahren und Schwimmen!“ Das braucht man nicht unbedingt im bergigen Nepal mit wenigen Schwimmgelegenheiten, wohl aber in Europa.
Ich werde mein Heimatland in einem neuen, veränderten Licht betrachten, wenn ich wieder zu Hause bin.