Israel auf Persisch II: Der Trans-Asia-Express
Monate der gewissenhaften und bis ins kleinste Detail ausgetueftelten Planung liegen hinter mir, denn ich habe eine aussergewoehnliche Reise unternommen: 2 Wochen Iran! Aber damit nicht genug - meine naechste Destination war ausgerechnet Israel...
Die ersten Minuten in unserem neuen Zuhause waren ein allgemeines Verräumen der Gepäckstücke, ein schneller Abschied von Ankara und ein allgemeines Grinsen. Die nächsten Stunden waren gefüllt mit Aus-dem-Fenster-schauen, lesen, kleinen Snackpausen und einem netten Zugbegleiter, der uns für den Abend (oder auch den Morgen) zum Biertrinken in den Speisewagen einlud.
Es war der 31. Dezember, daher waren uns alkoholische Getränke durchaus willkommen, weshalb wir nach dem Abendessen (ebenfalls im Speisewagen) zu Bier bzw. Wein griffen. Wir hatten bereits gelesen, dass auf diesem Teil der Reise der Alkohol in rauen Mengen floss, da im Iran erstmal Schluss mit dem Trinken sein würde. Die anderen Reisenden waren auch teilweise deutlich angetrunken und rauchten türkische Zigaretten ohne Unterlass, sodass die ohnehin schon recht verbrauchte Luft im Zug einen beissenden Geschmack annahm. Auch lernten wir hier die beliebte Überheizung kennen, die uns auf der gesamten Reise begleiten würde.
Beim Kartenspielen und späteren Backgammon lernten wir einige Mitreisenden kennen und stiessen erstmals auf die Sprachbarriere, die uns ebenfalls treue Begleiterin sein würde. Mit unseren Sprachführern von der Kauderwelsch-Reihe (die ich hier sehr lobend erwähnen möchte) schlugen wir uns mehr schlecht als recht durch die Gespräche und liessen uns gelegentlich von den zumindest ein wenig Englisch beherrschenden Fahrgästen helfen. Auch die paar Brocken Türkisch, die wir uns in Ankara angeeignet hatten, stellten sich als hilfreich dar.
Der Jahresübergang war dermassen unspektakulär, dass es mir noch heute schwerfällt, 2015 zu denken - ein Zugbegleiter und einige wenige Mitreisende zählten halbherzig den Countdown herunter, wir drei klatschten kurz und unterliessen es bald wieder, weil es doch sehr traurig klang, tranken unser Bier leer und bezogen unsere Schlafkammern. Diese waren, wie der ganze Zug, überaus gemütlich, alles war sauber (abgesehen vom ständigen Zigarettenrauch) und neben der türkischen Stehtoiletten gab es auch eine europäische; Klopapier und Seife waren vorhanden, Hygiene zwar nicht 1A aber doch über dem Standard der Deutschen Bahn. Der Speisewagen bot Abwechslung, aber die meiste Zeit der Fahrt beschäftigen wir uns mit Lesen, Landschaft bestaunen und immer wieder kleinen Schlafpausen, da wir dank der Wärme, sauerstoffarmen Luft und dem stetigen Rattern des langsam dahinziehenden Zuges andauernd müde waren.
Am Abend des zweiten Tages erreichten wir den Van-See (was mir als Wahlberlinerin natürlich besondere Freude bereitete), wo wir auf eine Fähre umstiegen. Ein ehemaliges Luxusboot nebst Touristeninformation und Sonnendeck, nun aber rostüberzogen und mit ausgetreteten Stufen, nahm das Stahlungetüm neben unserem Gepäckwaggon zusätzlich einige Countainer mit Kohle und anderen Waren sowie den restlichen Passagieren des Zuges auf.
Im Bordrestaurant wurden verschiedene Waren feilgeboten, die anscheinend in der Türkei günstiger oder einfacher zu beschaffen sind als im Iran - eine besondere Margarine, bestimmte Kekse und Schoko-Brotaufstriche, Pflanzenöl und weitere Cholesterinbomben gingen zu Dutzenden über den Ladentisch. Daneben wurden Tee, Sandwiches und Chips verkauft, und nachdem wir an Deck die Aussicht im Dunkeln genossen hatten, zogen wir uns aus der Kälte zurück an die Bar zu einem Heissgetränk. Alkoholika wurden hier nicht mehr ausgeschenkt, da die Betreiber laut eigener Aussage schlechte Erfahrungen mit allzu ausgelassenen Iranern gemacht hatten, obwohl wir uns noch immer auf türkischem Staatsgebiet befanden. Die Passagiere liessen sich davon aber nicht stören, denn nachdem alle eine Kleinigkeit gegessen hatten, begann ein junger Musikstudent, traditionalle Stücke auf dem Keyboard zu spielen, und einige Frauen tanzten ausgelassen dazu. Lautes Klatschen und kehliges "Ayayayayay" begleiteten die Performance. Alle Frauen trugen enge, ausgeschnittene Kleidung, nur wenige ältere ein Kopftuch. Wir kamen ins Gespräch mit einigen wenigen, die Englisch konnten, aber auch von einer Frau, die ausschliesslich Farsi sprach, bekamen wir eine Adresse nebst Handynummer zugesteckt, die wohl als Einladung zu verstehen war. Zudem wurden wir zu einem beliebten Fotomotiv - schnell wurden riesige Smartphones gezückt und wir in allerlei Selfies mit einbezogen.
Ein Mann aus Shiraz im Südiran stellte sich mir in vergleichsweise gutem Englisch als Tourguide vor, lud uns zu Tee ein und erzählte uns ein wenig von der Geschichte des Landes, wovon wir aber ob kommunikativer Schwierigkeiten nicht allzu viel verstanden. Wir nannten ihn im Laufe der Weiterfahrt den "Guide", aber dazu später mehr.
Nach etwa 4 Stunden Fahrt erreichten wir den Hafen von Tatvan am anderen Ende des Sees und mussten noch eine weitere Dreiviertelstunde auf den iranischen Zug warten, der uns nach Teheran bringen würde. Nach einigen Verwirrungen wurden wir in eine Wartehalle geführt, in der uns iranische Beamte nach unseren Tickets und Pässen fragten und uns Abteile zuwiesen. Uns drei Deutschen wurde eine weitere Frau zugeteilt, die leider kein einziges Wort Englisch sprach, die Arme. Mit unserem Sprachführer versuchten wir uns einige Zeit in Smalltalk, am Ende zog sie aber um in ein anderes Abteil. Vor der Abfahrt wurden noch zwei mal die Pässe kontrolliert und wir fragten uns, ob nun wohl die Zeit für das im Iran obligatorische Kopftuch gekommen war; nachdem die anderen Frauen jedoch auch unverhüllt blieben, hielten wir es genauso. Uns wurde von einem freundlichen Schaffner noch angeboten, die Mahlzeiten wahrzunehmen, die jeweils ins Abteil geliefert werden würden - da aber nur eine von uns Fleisch ass, bestellten wir jeweils nur eine Portion. Wir Veganerinnen hatten uns auf eine Herausforderung eingestellt und bereits aus der Türkei einiges an Vorräten für die Fahrt eingepackt.
Nach einem Begrüssungstee bezogen wir die erneut sehr bequemen Betten, wenngleich diesmal mit einigen Schwierigkeiten, da die oberen Betten in iranischen Zug um einiges höher waren und die Leiter an Stabilität zu wünschen übrig liess. Eine lange Nachtruhe war uns aber ohnehin nicht vergönnt, da wir gegen 3 Uhr die Grenze erreichten und nun zunächst auf türkischer Seite unsere Dokumente vorlegen mussten. Unsicher und an den Dresscode der anderen angepasst legten wir uns nun ein Kopftuch um, was auf Grund der Aussentemperatur auch durchaus angenehm war. Nachdem wir alle unseren Ausreisestempel erhalten hatten, ging es zurück in den Zug.
Als wir wieder geweckt wurden, war gerade die Dämmerung hereingebrochen. Wir befanden uns nun auf iranischer Seite, und wenngleich verschlafen stellten wir uns doch reichlich nervös auf die strengen Kontrollen ein. Den Kopf bedeckt betraten wir mit den anderen die Wartehalle und bestaunten die Schilder, die zum Tragen des Tschador aufriefen (wörtlich übersetzt bedeutet das Zelt, ein langes Tuch, das den ganzen Körper der Frau abgesehen von ihrem Gesicht verbergen soll - anders als die Burka, so etwas gibt es im Iran nicht). Ein junger Soldat mit Maschinenpistole schritt am Bahnsteig auf und ab, schien sich aber eher zu langweilen.
Wieder wurde uns erstmal nicht gesagt, was wir zu tun haben, und nach einiger Wartezeit schliesslich wurde uns aufgetragen, das Handgepäck zur Kontrolle aus dem Zug zu holen. Als wir uns in der Schlange anstellten, trat plötzlich ein aufgeregter Beamter zu uns. "You are tourists!?" fragte er uns erschrocken. Als wir bejahten, winkte er uns an der Schlange vorbei nach vorne, zu weiteren Kontrollen, wie wir vermuteten. Zwei junge Schweizer, die einzigen anderen ausländischen Mitreisenden, wurden ebenfalls mitgenommen. Im Kontrollraum angekommen wurden wir jedoch nur abermals willkommen geheissen und ohne Gepäckkontrolle oder Fragen freundlich in den Zug zurück geschickt. Fassungslos setzten wir uns auf unsere Plätze und beobachteten die langsame Prozedur vor dem Fenster. Nicht eine einzige Tasche war geöffnet worden, unangenehme Fragen ausgeblieben und Israel mit keinem Wort erwähnt - sollte das wirklich schon alles sein?
Wir schliefen wieder ein, bis wir am Mittag den ersten längeren Stopp in Tabriz machten. Die Schweizer stiegen hier aus und wollten die kurdische Region besuchen. Es war auch die Zeit des Mittagsgebets, und einige der Passagiere strömten in die extra angelegten Gebetsräume des Bahnhofs. Öffentliche Verkehrsmittel müssen im Iran zu allen fünf Gebetszeiten am Tag eine Pause machen, um den Gläubigen ihr Recht einzuräumen.
Die Damen aus dem Nachbarabteil kauften am Bahnhof Mittagessen, Ghormeh Sabzi wie wir später lernten, das typische iranische Essen bestehend aus mit Safran (dem Nationalgewürz) veredeltem Reis und einem Stew aus Gemüse und Fleischstückchen, dazu eine Mischung aus frischen Kräutern, die zu jeder Mahlzeit gereicht wird. Sie schenkten uns auch eine Portion, nebst einem Fladen Kuku Sabzi, einem Kräuteromelett. Auch die sprachen kein Englisch, luden uns nach dem Essen aber zu sich zum Tee ein. Mit unseren Sprachführern, die wir mittlerweile etwas geübter zu nutzen wussten, und den paar Ausdrücken, die wir uns schon angeeignet hatten, gelang uns tatsächlich so etwas ähnliches wie ein Gespräch mit den beiden Paaren, die uns von ihren Kindern im Ausland und deren Berufen erzählten.
Immer wieder kam unser Guide zu unserem Abteil, bot uns an, uns Essen oder Tee zu kaufen und uns den Iran zu zeigen. Dabei wurde er immer nachdrücklicher, behauptete, kein Geld zu verlangen aber bestand doch darauf, dass wir mit ihm weiterreisen sollten, was absolut nicht in unserem Interesse lag. In Tabriz schenkte er uns eine Simkarte nebst Guthaben, was uns sehr freute, im weiteren Verlauf nutzte er aber diese Möglichkeit, uns auch aus seinem entfernten Abteil ständig zu kontaktieren. Die Nachbarsfrauen sahen das nicht gerne und setzten sich demonstrativ zu uns, als er wieder einmal vorbei kam, woraufhin er auch ihnen Gratistouren anzubieten schien. Als er ging, warnten sie uns mit Hilfe von Melissa, einer der englischen Sprache zumindest teilweise mächtigen uns sehr netten iranischen Frau, mit der wir schon vorher gesprochen hatten. Melissa sagte, der Mann wolle uns ausnutzen und sei überhaupt drogenabhängig und kein guter Umgang. Das mit dem Drogen sei mal dahingestellt, aber auch uns wurde das Ganze mittlerweile unangenehm. Melissa blieb als Bodyguard bei uns, und auch die Frauen von Nebenan quetschten sich wieder dazu, um auf uns einzureden und uns zu beschützen. Im Grunde genossen sie wohl die Aufregung, denke ich, und wir waren zwar ein bisschen verunsichert, aber lernten doch von Melissa einiges über den Iran.
Zu unserer Überraschung stieg sie nämlich nicht mit den anderen aus, als zum Abendgebet gehalten wurde, und erklärte, sie gehöre der Baha'i Religion an, die wir bereits in Israel kennen gelernt hatten. Der Begründer war Iraner, wurde aber aus dem Land vertrieben, da seine Lehren nicht anerkannt und als Heidentum verurteilt wurden. Noch heute haben die Baha'i einen schweren Stand; zu Zeiten der islamischen Revolution wurden wichtige Mitglieder (unter ihnen Melissas Vater!) sogar reihenweise als Staatsfeinde hingerichtet. Der wichtigste Schrein steht heute in Haifa, der Stadt in Israel, in der wir drei studiert haben. So schliesst sich also der Kreis.
Die Situation mit dem Guide war noch nicht ausgestanden - nachdem er uns absolut nicht in Ruhe lassen wollte, meldete einer der Ehemänner unserer Nachbarsfrauen ihn bei einem Schaffner. Wir hatten von der "Sittenpolizei" und ihrer rigorosen Vorgehensweise gehört und wollten dem in unseren Augen doch eher harmlosen Mann keinen Schaden verursachen; der Ehemann aber liess uns ohnehin aus dem Spiel und zeigte nur an, dass der Guide seiner Frau unmoralische Angebote in Form von freien Reisen gemacht habe. Tatsächlich war plötzlich ein (wenngleich gelassen wirkender) Polizist an Bord. Der Guide forderte uns auf, ihm zu sagen, wir hätten ihn engagiert, was wir verneinten. Wütend rief er, er habe uns schliesslich eine Simkarte besorgt; diese gaben wir ihm also sogleich zurück. Wir sahen ihn erst in Teheran am Bahnhof wieder.
Die Fahrt verzögerte sich sehr - erst hatte es geheissen, wir kämen gegen 20 Uhr in Teheran an, dann Mitternacht, dann 2 Uhr. Als Entschädigung erhielt jeder Passagier eine Dose Thunfisch, eine sehr nette Geste... Gerne hätten wir noch etwas geschlafen, aber unser Bewacherteam liess uns dazu leider keine Ruhe, wenngleich sie immer wieder betonten, wir könnten beruhigt schlafen, sie passten auf uns auf. Über Melissas Handy blieben wir mit unseren Hosts in Teheran in Kontakt, die uns über Freunde vermittelt worden waren und uns eigentlich vom Bahnhof hatten abholen wollten. Da wir unsere Ankunftszeit aber immer weniger abschätzen konnte, verabredeten wir mit ihnen, ein Taxi zu nehmen. Schnell tauschten wir daher noch unsere letzten türkischen Lira gegen Iranisches Geld mit dem Schaffner (der sich über den ungewöhnlichen Umrechnungskurs eine grosszügige Kommission abschnitt) und schon erreichten wir Teheran.
Der Bahnhof der 15 Millionen Stadt war fast menschenleer. Unsere Koffer liefen wie am Flughafen über ein Gepäckband in die Wartehalle, und gemeinsam mit Melissa verliessen wir das Bahnhofsgebäude. Die finsteren Vorstellungen, die wir die ganzen Monate aufgebaut hatten, wurden übertönt von der wilden Begrüssung von Melissa und ihrer Familie, ihrem komplett westlich aussehenden Sohn und dem völligen Fehlen von Militär in jeglicher Form. Melissas Mann besorgte uns ein Taxi, und mit grossen Augen starteten wir unsere Reise in die Teheraner Nacht...